„Ja, Marie, aber komm doch jetzt. Du wolltest doch Karussell fahren.“
„Aber Mama, nur noch ein bisschen.“
Marie kniete auf der einen Seite des Bauzauns, der das Festgelände von den Stellplätzen der Schausteller abgrenzte, während auf der anderen Seite ein Mischlingswelpe auf und ab lief und zwischendurch immer wieder an ihrer Hand schnüffelte. Ihre Mutter sah es nicht gern, wenn Marie mit fremden Tieren spielte. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst als Kind von einem Hund gebissen wurde.
„Bitte, komm doch jetzt. Wir sind doch nicht wegen des Hundes hergekommen.“ Langsam gingen Franziska Schmidt die Nerven aus. Sie wusste, wie sehr ihre Fünfjährige Tiere liebte, aber wegen der Tierhaarallergie ihres Mannes konnten sie nicht mal einen Hamster halten.
„Och menno.“ Widerwillig stand Marie auf.
„Vielleicht hätten wir doch erst einen Mittagsschlaf machen sollen“, sagte Frau Schmidt.
Der Jahrmarkt lockte auch Ella und Kathi aus der Wohnung. Vor allem das Riesenrad hatte es ihnen angetan. Von ganz oben konnte man bei so klarem Wetter wie heute kilometerweit über das Land blicken. Nachdem sie ausgestiegen waren, steuerten sie zielgerichtet auf die Softeisbude zu, wo sich aufgrund der sommerlichen Temperaturen eine beträchtliche Schlange gebildet hatte.
„Mama, können wir dem kleinen Hund auch ein Eis bringen? Dem ist bestimmt auch warm.“ Ein Stück vor ihnen stand ein Mädchen und zupfte seine Mutter am Ärmel. „Aber Marie, Hunde dürfen kein Eis essen, die vertragen das nicht.“ Die Kleine zog eine enttäuschte Schnute. „Können wir ihm dann ein Wiener bringen?“
„Marie, jetzt ist aber gut. Der Hund gehört jemandem und der wird sich auch um ihn kümmern.“ Langsam wurde die Frau ungehalten und Ella wusste nicht, wen sie mehr bedauern sollte; die Mutter, die dem Mädchen sicher nicht gern alle Wünsche abschlug, oder die Kleine, die so enttäuscht war.
„Mama, mir ist langweilig.“
„Schätzchen, wir wollten doch ein Eis essen und ganz viele andere Leute haben heut dieselbe Idee. Da müssen wir eben ein bisschen warten.“ Marie nahm diese Erklärung hin und tänzelte in der Reihe vor und zurück. „Magst du lieber ein Softeis, heute gibt es Mango-Vanille. Oder eine Kugel?“
„Dann will ich ein Zopfeis.“
Ella amüsierte sich über das kleine Mädchen. Auch sie hatte als Kind immer Zopfeis gesagt, weil die Spitze eben aussah wie das Ende eines Zopfes.
Die Schlange rückte nur langsam vorwärts und Franziska Schmidt hatte eine Bekannte getroffen, mit der sie sich unterhielt. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihre kleine Tochter, die das alte Karussell mit den Pferden bestaunte. Als sie endlich an der Reihe war, bestellte sie zwei Softeis.
„Marie, komm Eis essen“, rief sie in Richtung des Karussells. Auf den ersten Blick konnte sie ihr Kind nicht entdecken. „Marie!“ Die Stimme der Frau wurde aufgeregter. „Marie, lass die Scherze.“ Eilig lief sie eine Runde um das Fahrgeschäft und schaute, ob ihre Tochter sich vielleicht vor Langeweile auf eines der Pferde gesetzt hatte.
„Haben Sie ein kleines Mädchen gesehen, brünett, mit Zöpfen und ein hellblaues Kleid mit Punkten. Sie war eben noch da und jetzt…“ Panik schwang in der Stimme der Mutter mit. Sie sprach die Leute an, die hinter ihnen in der Warteschlange am Eiswagen gestanden hatten.
„Bitte beruhigen Sie sich. Wir helfen Ihnen suchen.“ Kathi legte der aufgeregten Frau tröstend die Hand auf den Arm.
„Müssen wir nicht die Polizei rufen?“
„Erst einmal suchen wir selbst“, reagierte Ella beherzt. „Wo wollte Ihre Tochter denn unbedingt hin, da suchen wir zuerst.“
„Sie wollte zu dem Karussell, Eis essen und an die Losbude“, erklärte Franziska Schmidt mit erstickter Stimme.
„Gut, dann bleiben Sie hier, falls sie hierher zurückkommt. Kathi, du beobachtest den Eisstand, ich geh zur Losbude“, wies Ella an. Die Frauen nickten und Ella lief los, blickte sich um doch auch auf dem Weg und an der Losbude war Marie nicht zu sehen. Fragen an die Losverkäufer nach dem kleinen Mädchen wurden verneint. Nun wurde auch ihr mulmig zumute. Erfolglos kehrte sie zu Kathi und Frau Schmidt zurück.
„Sagen Sie bitte, haben Sie mit Marie eine Absprache, was sie machen soll, wenn Sie sich verlieren?“
„Nicht so direkt, sie ist ja auch noch so klein und eigentlich läuft sie auch nicht weg.“ Inzwischen standen ihr die Tränen in den Augen. „Was, wenn ihr was passiert ist?“
Plötzlich fiel Ella etwas ein. „Was ist das für ein Hund, von dem Marie vorhin gesprochen hat?“
„Ach der. Den haben wir bei den Schaustellern gesehen, als wir vom Parkplatz hergelaufen sind und…“, sie unterbrach sich selbst, „Sie denken doch nicht etwa…?“
„Kathi, wartest du bitte hier, falls sie doch hier auftauchen sollte?“ Kathi nickte und ließ ihren Blick weiter über den Platz schweifen.
Ella und Frau Schmidt liefen derweil zu den Campern der Schausteller. Als sie am Zaun ankamen, trauten sie ihren Augen kaum. Im Schatten eines der Wohnwagen schlief ein kleines Mädchen mit einem Mischlingswelpen im Arm.
„Marie! Oh mein Gott, da bist du ja.“ Frau Schmidt schlug gegen den Zaun und weinte vor Erleichterung. Marie öffnete träge die Augen. „Wie bist du nur da reingekommen?“
„Mama.“ Verschlafen schob das Mädchen den kleinen Hund zur Seite, lief dann zum nächsten Wohnwagen und quetschte sich durch die Lücke zwischen zwei Zaunfeldern.
Die Mutter drückte ihre Tochter fest an sich. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht, du kannst doch nicht einfach weglaufen.“
„Mir war so langweilig und dem kleinen Hundchen auch. Dann haben wir ein bisschen gespielt und weil ich so müde war, hab ich mich hingesetzt…“
„… und bist eingeschlafen“, mischte Ella sich jetzt ein. „Junge Dame, du hast hier einige Leute ganz schön auf Trab gehalten.“
Marie senkte verschämt den Blick. „Tut mir leid, der war so niedlich und ich darf keine Haustiere haben, weil Papa davon krank wird. Ich lauf nie wieder weg, versprochen.“
„Ich bin einfach nur froh, dass nichts passiert ist.“ Frau Schmidt sah Elle dankbar an. Darf ich mich bei Ihnen und Ihrer Freundin für Ihre Hilfe mit einem Eis revanchieren?“
Ella lachte. „Eis geht immer. Vor allem, wenn die Gemüter so erhitzt sind.“
Eine Gruppe Musiker aus verschiedenen Ecken der Oberlausitz.
Wir durften sie in ihrer abgeschiedenen, idyllischen Proberaum-Umgebung besuchen.
Alles fing mit Straßenmusik und einer Geburtstagsfeier an. Ungezwungenes, lockeres Musizieren wollten die drei zur Familienfeier abliefern. Dass dieser Abend dann so gut bei den Zuhörern ankommt, inspirierte die Freunde zum Weitermachen.
Tom, der Motor der Band und Bandleader, erkannte sofort das Potential und ging die Sache professionell an. Seine Erfahrung als Straßenmusiker formte eine Gruppe, die etwas abseits des Mainstreams angesiedelt ist. Ruhe und Abgeklärtheit fand er auf seiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, im Heiligen Jahr 2010. Die Sicht auf die Dinge und Werte unserer Zeit erfuhren bei ihm eine persönliche Wende.
Die Gruppe performt Musik, die eine große Bandbreite zeigt. Mit eigenem Stil und Charakter.
Ihr Credo, die etwas unbekannten Lieder performen, der eigenen Individualität anpassen und vor allem authentisch bleiben. So pilgern sie durch die musikalische Zeitgeschichte, immer auf der Suche nach dem besonderen Song und der Möglichkeit, ihren eigenen Horizont zu erweitern.
Ilona erlernte eigens für die Band das Spielen auf der Djembe. Diese Töne geben dem Sound der Gruppe einen unverwechselbaren Charakter.
Einfühlsam und mit feiner, beruhigender Stimme interpretiert Janet die Texte und setzt damit einen harmonischen Gegenpol zum markanten Gesang von Tom.
Eine Gruppe, die sich findet und formt. Wir dürfen gespannt sein, wie sie sich entwickelt.
Eins ist sicher, es wird eine musikalische Pilgerreise durch unsere Zeit. Pilgrim Sounds eben.
Pünktlich zur 800Jahrfeier von Wilthen präsentiert uns Künstlerin Elisabeth Harwart ihr neues Werk.
„Martin Pumphut sieht die Zukunft Wilthens voraus“
Aus der Serie „A Greta World“
Nachempfunden nach einem alten Stich, umreißt es Sagen, Gegenwart und Zukunftsvisionen der Stadt.
Zu sehen ist ihre Arbeit in der Ausstellung von Künstlern aus der Oberlausitz in der Passage des HZO in Wilthen und ergänzt ihre bereits ausgestellten Werke.
Der Transporter stoppte abrupt, die Tür wurde geöffnet und den drei Schwestern bedeutet auszusteigen. Mit vorgehaltener Pistole wurden sie von zwei maskierten Männern durch ein altes Gehöft geführt. Rings herum nur Wald und Wiese. Still folgten sie den Anweisungen. Sie durchquerten einen Gang in dem alten Bauernhaus und stoppten vor einem Holzverschlag. Einer der Männer öffnete die Tür. „Rein da! Da könnt ihr schreien wie ihr wollt, hier wird euch keiner hören. Wenn ihr euch ruhig verhaltet, lassen wir euch morgen Abend wieder raus. Wenn der Kauf unter Dach und Fach ist.“ Unsanft schubste er Maria in Richtung der Treppe, die in einen muffigen Keller führte. Der andere brachte in der Zwischenzeit drei Flaschen Wasser und einen Beutel trockener Brötchen. „Soll ja keiner behaupten, dass wir euch hungern lassen.“
Das Nächste, was die drei hörten, war, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde und die Stimmen der Männer, die sich entfernten.
Sie versuchten, sich in dem schummerigen Licht zu orientieren. Der einzige Ausweg, aus dem Kellerloch war die Tür. Das winzige vergitterte Fenster sorgte für minimal Frischluft, zur Flucht war es definitiv nicht geeignet.
„Wir müssen hier raus, sonst flipp ich aus“, knirschte Maria durch die Zähne. Christina sah sich um. In einer Ecke lagen ein paar Decken, ein Blecheimer in der anderen. Der war vermutlich für ihre Notdurft gedacht.
„Bleib ruhig“, versuchte sie Maria zu beruhigen, uns wird schon nichts passieren. Du hast doch gehört, sie werden uns nichts tun.“
„Darum geht es nicht.“ Maria wurde energischer. „Ich hab eine Scheißangst vor Spinnen.“ Juliane, die bisher nichts gesagt hatte, konnte sich ein kichern nicht verkneifen. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
„Hier in dem Raum ist nichts, was uns irgendwie helfen könnte, diese Tür aufzubekommen“, fasste Christina zusammen und Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.
„Lasst mich mal sehen“, ergriff nun Juliane das Wort und begutachtete intensiv das Schloss des Kellerverschlages. „Ich denke, das ist ein Buntbartschloss. Gibt es hier irgendwo ein Stück Draht?“ Die drei Frauen sahen sich im Kellerraum, aber der war wie leer geputzt. „Eine Haarklemme würde es auch tun.“ Auch da war nichts zu holen. Maria fing an, ihren Habit zu durchsuchen und brachte eine Schraube, einen kleinen Inbusschlüssel und einen Holzstift ans Licht. „Das könnte ich noch anbieten“, präsentierte sie ihre Fundstücke. „Du bist großartig.“ Juliane schnappte sich den Inbusschlüssel und steckte ihn in das Schloss. Schwester Christiane schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Es gab ein metallisches ‚klack‘ und das Schloss sprang auf. Ungläubig schauten Maria und Christiane ihre Ordensschwester an. Die hob nur entschuldigend die Schultern. „Ich war ja nicht immer Nonne.“
Maria, froh der Spinnenhölle entkommen zu können, wagte als erste den Schritt nach draußen. „Ich glaub, die sind nicht mehr da“, flüsterte sie den anderen beiden zu. „Der Transporter ist weg.“ Vorsichtig schlichen sie durch das verlassene Gebäude, bis sie vor der Tür standen. Die Luft war rein. In einiger Entfernung sahen sie vereinzelt Autos vorbeifahren. „Wir müssen zu dieser Straße“, entschied Christina. „Übers Feld geht es am schnellsten.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Kathi und David waren unterdessen etliche Kilometer durchs Oberland gefahren und beschlossen, eine Pause zu machen. Sie breiteten eine Decke aus, als Kathi plötzlich erstarrte. „Siehst du auch, was ich sehe?“, stotterte sie?
„Weiß nicht, was siehst du denn?“ David blinzelte träge.
„Ich sehe drei Nonnen, die über ein Feld rennen.“
Nun wurde die Situation auch für David interessant. Und tatsächlich, drei Ordensschwestern mit hochgerafften Gewändern, flitzten über das Feld. David musste ein Foto machen, das Bild war einfach zu kurios.
Moment, hatte nicht Ella vorhin etwas von drei verschwundenen Nonnen erzählt? Das konnte kein Zufall sein. Kathi fing an, zu rufen und den Schwestern zuzuwinken. Diese nahmen davon Notiz und wechselten die Richtung. Völlig außer Atem kamen sie bei Kathi und David an.
Nachdem sie alles erklärt hatten, rief Kathi die Polizei. Kurz darauf fuhr ein Polizeiwagen vor, um die erschöpften Ordensschwestern abzuholen, die, wild durcheinanderschwatzend, von der Entführung und dem anstehenden Verkauf des Klosters berichteten. Die Aussagen der drei wurden aufgenommen und da sie unverletzt waren, wurden sie von der Polizei am Kloster abgesetzt.
Als sie den Klosterhof betraten, sahen sie, wie die Mutter Oberin vor der Tür mit einem gelackten Geschäftsmann diskutierte.
Maria wollte zu ihnen stürmen, doch Christina hielt sie zurück. „Warte kurz, ich will hören, worum es da geht. Ruft sicherheitshalber die Polizei. “ Hinter einem großen Rhododendron suchten die drei Schwestern Schutz und hofften, dass sie noch nicht zu spät kamen.
„Sie müssen nur unterschreiben und dann bin ich auch schon weg“, redete der Anzugträger auf die Mutter Oberin ein.
„Entschuldigen Sie, dass ich gerade ganz andere Sorgen habe. Drei meiner Schwestern sind verschwunden. Bevor ich nicht weiß, dass es ihnen gut geht, habe ich den Kopf nicht frei für solche Geschäfte.“
„Gut, wenn sie das so sehen.“ Er überlegte kurz. „Mein Angebot gilt noch eine Stunde. Mit jeder weiteren Stunde, die vergeht, sinkt es um zehn Prozent.
„Aber das ist doch Wucher“, erboste sich die Mutter Oberin.
„Es liegt ganz an Ihnen“, erwiderte der schmierige Typ und schickte sich an zu gehen.
„Warten Sie.“ Verzweiflung spiegelte sich in ihrem Gesicht.
Nun hielt es Maria nicht mehr aus. „Unterschreiben Sie nichts!“ Sie stürmte hinter dem Rhododendron hervor, Juliane und Christina folgten ihr.
„Der da“, anklagend zeigte Maria auf den erschrockenen Erpresser, „der hat uns entführen lassen!“
„Aber Schwester Maria, was sind denn das für Anschuldigungen?“
„Es ist wahr“, setzte Juliane nach. „Ich erkenne einen Kriminellen, wenn ich einen sehe.“
„Maria hatte eine andere Lösung für die Rettung des Ordens, aber bevor Sie Ihnen davon berichten konnten, wurden wir verschleppt“, erläuterte Christina, „daher sollen Sie so schnell wie möglich unterschreiben.“
In dem Moment betraten zwei Polizeibeamte den Hof.
„Aber woher wussten die von den Plänen von Frau Richter?“, erkundigte sich Juliane.
„Ich habe die Stimme eines der Entführer erkannt“, erklärte Maria, „er ist Pfleger in dem Heim und hat vermutlich unsere Unterhaltung mit angehört.“
Die Polizei nahm den wild diskutierenden Geschäftsmann in Gewahrsam und dank Marias Aussage auch seine Komplizen.
Das Vermögen von Frau Richter reichte nicht nur aus, um die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Es konnte auch ein Flügel des Klosters als Gästehaus ausgebaut werden, in dem nun getriebene Seelen zur Ruhe kommen können.
Juliane und Christina unterbrachen ihre Arbeit. So aufgelöst hatten sie ihre Freundin selten erlebt. „Was ist denn los, du bist ja völlig außer Atem?“
„Ihr glaubt nicht, was ich eben gehört habe“, berichtete die, nach Luft haschend. Unser Kloster soll verkauft werden. Die Kosten für die Reparaturen sind zu hoch. „Der Orden soll aufgelöst werden?“ Christina konnte es kaum fassen.
„Werden wir dann wenigstens zusammenbleiben?“, fragte Juliane unsicher. Sie war, nach einem kurzen, aber bewegten Leben, als letzte zur Gemeinschaft hinzugekommen und froh, endlich eine Heimat gefunden zu haben.
„Noch wissen wir ja gar nichts genaues“, meinte Christina nüchtern und an Maria gewandt: „Wie kommst du überhaut darauf, dass das Kloster verkauft werden soll?“
„Ich habe gerade die Gänge gewischt und als ich vorm Büro der Mutter Oberin war, stand die Tür einen Spalt offen…“
„Du hast gelauscht“, rügte Schwester Christina, „das ist aber nicht besonders anständig.“
„Anständig hin oder her, ich habe gehört, dass unser Kloster kein Geld mehr hat, um die anstehenden Sanierungskosten zu zahlen und nun soll es an einen Investor verkauft werden, der daraus ein Wellnesshotel machen will.“
„Ein Wellnesshotel? Aus unserem Kloster?“ Juliane fiel vor Schreck der Besen aus der Hand.
„Und du bist dir ganz sicher?“, hakte Christina noch einmal nach.
„Ich weiß doch, was ich gehört habe. Die Mutter Oberin war auch sehr betroffen, aber offenbar gibt es keinen anderen Ausweg? Das können wir doch so nicht hinnehmen?“
Christina dachte einen Moment nach. Sie war kein Mensch für kopflose Aktionen, aber das konnte sie nicht hinnehmen. Warum hatte die Mutter Oberin nichts erzählt? Das Kloster war schließlich ihr Zuhause.
„Wir müssen doch etwas unternehmen können?“ In Julianes Stimme schwang Verzweiflung mit. „Zuerst einmal müssen wir einen kühlen Kopf bewahren“, versuchte Christiane die erhitzen Gemüter zu beschwichtigen, „dann wird uns schon etwas einfallen.“
Sie wandten sich vorerst wieder ihren Aufgaben zu und während Schwester Juliane und Schwester Christina die Rabatten pflegten, machte sich Schwester Maria auf zu ihrem täglichen Besuch ins benachbarte Hospiz. Anneliese Richter erwartete, wie jeden Tag, schon sehnsüchtig die quirlige Schwester. Da sie sich bewusst war, dass ihre Zeit ablief, stellte die Anwesenheit von Maria das Highlight ihres Tages da.
Es klopfte an der Tür und Maria trat ein. „Wie schön, dass Sie da sind“, freute sich Frau Richter, „Sie erhellen mir den Tag. Wollen wir ein Stück gehen?“
„Sehr gerne“, erwiderte Maria. Sie half der hochbetagten Dame aus dem Sessel in einen Rollstuhl, deckte ihr fürsorglich die Beine zu und schob sie dann routiniert aus dem Zimmer über die Gänge in den weitläufigen Park. Nach einer Weile ergriff Anneliese Richter das Wort. „Irgendetwas ist doch heute mit Ihnen, Schwester? Sie sind viel schweigsamer als sonst.“
Maria seufzte. Sie wollte die alte Dame nicht mit ihrem Kummer belasten.
„Nun erzählen Sie schon“, drängte die weiter, „ich nehme Ihr Geheimnis mit ins Grab, und wie uns beiden bewusst ist, wird das nicht mehr allzu lang dauern.“
Gerührt von der Aufmerksamkeit ihres Schützlings, redete sich Maria alles von der Seele. Sie hatten an dem kleinen Teich angehalten und saßen schweigend beieinander. Frau Richter begann die Enten mit Brotresten vom Abendessen zu füttern.
Als sie sich wieder auf den Weg machten, fragte die alte Dame plötzlich: „Können Sie für mich ein Telefonat erledigen?“
„Natürlich“, erwiderte Maria, „wen soll ich denn für Sie anrufen?“
„Meinen Anwalt, Herrn Dr. Schönherr.“
„Und was soll ich ihm ausrichten?“
„Er möchte sich Anfang nächster Woche bei mir einfinden.“ Maria nickte zustimmend, war aber doch zu höflich, um den Hintergrund zu erfragen. Das war auch nicht nötig, denn Frau Richter winkte sie zu sich heran. So nah, dass sie deren flachen Atem im Gesicht spüren konnte.
„Mein lieber Mann, Gott hab ihn selig, hat mir ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Von meiner buckeligen Verwandtschaft habe ich monatelang nichts mehr gehört. Seit geraumer Zeit denke ich darüber nach, wem ich das Geld zugutekommen lassen könnte. Sie haben mir eben die Entscheidung abgenommen.
Erschrocken ließ Maria den Rollstuhl los, der sich mitsamt der alten Dame langsam auf den Weg bergab machte. Glücklicherweise fing sie sich gleich wieder und ebenso schnell hatte sie Frau Richter in ihrem rollenden Gefährt gestoppt.
„Heilige Maria! Das können Sie unmöglich ernst meinen?“ Maria war wie vom Blitz getroffen
„Selten habe ich etwas so ernst gemeint. Schwester, mein Verstand ist noch sehr klar, nur der Körper macht nicht mehr so mit. Ich möchte, dass sie hier noch vielen Menschen wie mir ein Begleiter auf dem letzten Weg sein können und werde nicht zulassen, dass man Sie von hier vertreibt.“
„Frau Richter, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Lassen Sie uns noch eine Runde durch den Klostergarten drehen, dass muss ich sofort meinen Schwestern erzählen.“
Ella hatte beschlossen, nach dem Mittagessen eine Runde spazieren zu gehen. Die Frühlingssonne lockte sie heraus und obwohl es noch frisch war, platzen bereits die ersten Knospen auf. Als sie am Kloster vorbeikam, staunte sie nicht schlecht, ein Aufgebot an Polizeiwagen säumte den Bürgersteig. Ella, ganz in ihrem Element, kam nicht umhin ein paar Schaulustige zu fragen, was denn wohl geschehen wäre und bekam auch prompt Antwort.
„Da wurde sicher eingebrochen. So ein Kloster hat doch viel wertvolles Zeug rumstehen,“ mutmaßte eine Dame mit Hund.
„Nein, so ein Quatsch“, erwiderte ein älterer Herr, „so entstehen Gerüchte. Es heißt, es würden drei Nonnen vermisst.“
Sofort nahm sie ihr Handy und rief ihre beste Freundin an. Die war am Vormittag mit ihrem Freund zu einer Radtour ins Oberland aufgebrochen.
„Du glaubst nicht, was hier passiert ist!“, schrie sie aufgeregt ins Telefon. „Aus dem Kloster sind drei Nonnen verschwunden.“
Bevor sie überlegen konnten, was nun die beste Vorgehensweise wäre, war Fred Richter ein Aufschrei des Entsetzens entfahren.
„Wo ist das Bild, das Mädchen am Brunnen?“ Er ging straffen Schrittes auf die Bürgermeisterin zu und fing an auf sie einzureden.
Kathi und Ella bemerkten, wie die immer blasser wurde, und beschlossen einzuschreiten.
„Ich nehm Bettina, du den Maler“, rief Kathi Ella im Gehen zu. Inzwischen hatte sich eine Menschentraube um den Ort des Geschehens gebildet und die beiden Freundinnen hatten Mühe, sich hindurchzudrängen. Während Kathi Bettina Rößler in deren Büro zog, bat Ella Fred Richter darum, sich zu beruhigen. „Was war denn so Besonderes an dem Bild.“
„Es war aus meiner Privatsammlung, ich hätte es nie hergeben dürfen. Diese Person“, er wies mit dem Finger auf die geschlossene Tür des Bürgermeisterzimmers, „diese Person hat mich quasi genötigt, es hier aufzuhängen.“
„Woher kannte Frau Rößler denn das Bild?“
„Sie hatte es in einer meiner früheren Ausstellungen gesehen und wollte es kaufen, aber das Bild ist unverkäuflich.“
„Entschuldigung, Herr Richter?“ Eine junge Frau im Rotkäppchenkostüm gesellte sich zu ihnen, „Die Polizei ist jetzt da und möchte Sie sprechen.“
„Ja, keiner verlässt das Gebäude, bis das Bild wieder aufgetaucht ist.“
„Das entscheiden immer noch wir.“ Ein älterer Polizist stellte sich ihnen mit „Freiland, Kriminalpolizei“ vor und wies den erregten Maler darauf hin, dass die Daten der Gäste erfasst und die Taschen kontrolliert würden. Dann dürfe jeder nach Hause gehen.
Richter zeigte sich wenig einverstanden mit der Weisung, hatte aber keine Wahl.
Inzwischen waren Kathi und eine völlig aufgelöste Bettina Rößler zu ihnen gestoßen.
„Hallo Heinz“, grüßte die den Polizisten. „Wäre es in Ordnung, wenn ich schnell nach Hause geh und mich umzieh, in 10 Minuten bin ich wieder da. Ich möchte wenigstens für die Presse seriös aussehen.“
„Versteh ich.“ Er ließ sie gehen und nur mit dem Schlüsselbund in der Hand verschwand Bettina Rößler. Als sie, wie versprochen, kurz darauf wieder im Rathaus erschien, hatte sich der Tumult gelegt. Die Polizei vernahm ein paar Gäste und das Personal, die sich zum vermeintlichen Tatzeitpunkt im oberen Flur aufgehalten hatten, aber niemand hatte etwas Relevantes gesehen. Einige bestätigten, dass Frau Rößler in ihr Büro gegangen war. Dass die Tür offen stand, hielt keiner der Befragten für besonders erwähnenswert, da Frau Rößler öfter einmal bei geöffneter Tür arbeitete, um „näher dran“ zu sein, wie sie gern betonte.
Ella hielt sich zurück. Sie gab zu Protokoll, dass ihr das Fehlen des Bildes aufgefallen war, als Frau Rößler die Tür schloss. Kathi ergänzte, dass sie kurz zuvor mit der Bürgermeisterin gesprochen hatte, aber nicht bemerkt hatte, dass das Bild fehlte.
Nachdem die Vernehmung beendet war, resümierte Kathi: „Dann muss das Bild ja in den paar Minuten gestohlen worden sein, als die Tür offen stand. Aber wer marschiert hier unbemerkt mit einem Bild unterm Arm raus.“
„Nicht unterm Arm!“ unterbrach Ella, „derjenige hat sich sein Kostüm zunutze gemacht!“ Und plötzlich tauchten vor ihrem inneren Auge all diejenigen auf, deren Kostüme zum Diebstahl eines Bildes einluden. „Der englische Gentleman mit der Aktentasche!“, platzte sie heraus.
„Oder der Ritter mit dem Schild, und quasi jeder mit einer Tasche, ausgestopftem Bauch oder Umhang“, ergänzte Kathi nüchtern, „es muss jemand gewesen sein, der wusste, dass Bettina die Tür offenstehen lässt, wenn Sie das Büro betritt.“
„Zugegeben, das Bild war hübsch. Aber warum sollte jemand gerade das stehlen wollen?“
„Vielleicht, weil Richter es partout nicht verkaufen wollte. Da hat der Interessent sich eben selbst bedient.“
„Der kommt mir gerade recht.“ Ella sprang auf und lief auf Fred Richter zu, der soeben aus dem Büro von Bettina Rößler kam.
„Herr Richter, entschuldigen Sie bitte. Ich wüsste gern, warum Sie das Bild nicht verkaufen wollten.“
„Das geht sie gar nichts an.“
„Ich verstehe.“ Ella überlegte kurz. „Ich versuche nur die Motivation aller Beteiligten zu verstehen. So auch Ihre und warum Sie das Bild nicht verkaufen wollen.“
Richter sinnierte einen Moment, gab sich dann aber einen Ruck. „Dieses Bild hat einen sentimentalen Wert für mich. Es zeigt ein kleines Mädchen aus unserer Nachbarschaft vor … ach … fast fünfzig Jahren. Ich hatte selbst nie Kinder und hatte die Eltern gefragt, ob ich sie malen darf. Bevor das Bild fertig war, gab es einen schrecklichen Unfall. Das kleine Mädchen ertrank im Löschteich. Daraufhin ist die Familie umgezogen und so konnte ich das Bild nie übergeben. Es hat also quasi schon eine Besitzerin.“ Er zuckte mit den Schultern und Ella verstand, warum ihm das Bild so viel wert war.
Mit diesen neuen Erkenntnissen kehrte sie zu Kathi zurück, die gedankenversunken auf dem Besuchersessel lümmelte. Kurz erklärte sie ihr, was Richter ihr soeben erzählt hatte.
„Was ist denn los? Geht’s dir nicht gut?“ Ella war besorgt um ihre Freundin, doch die schüttelte nur den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, wer das Bild genommen hat.“
Fünf Minuten späte fanden sich beide im Büro von Bettina Rößler wieder. Die war allein im Raum und wirkte verloren hinter ihrem riesigen Schreibtisch.
„Bettina?“ Kathi sprach sie leise an und sie blickte auf. „Hast du das Bild genommen?“
Bleich vor Schreck starrte die Bürgermeisterin ihre Bekannte an. „Wieso, aber nein …. Also… wieso sollte ich?“
Um Kathi weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen, übernahm Ella das Wort.
„Sie wollten das Bild unbedingt haben, das hat Herr Richter uns erzählt. Also nutzten Sie die Gunst der Stunde, Getümmel im ganzen Haus, die Tür stand weit offen, so dass man es nicht gleich bemerkt hätte, wenn das Bild nicht mehr da hinge und es hätte quasi jeder abnehmen können.“
Bettina Rößler traten die Tränen in die Augen. „Ich halt das nicht mehr aus, ich bin keine Diebin, also, naja, schon aber eine schlechte. Aber er wollte es einfach nicht verkaufen.“ Schluchzend blickte sie die beiden Frauen an.
„Aber wieso?“ Kathi schaute sie fassungslos an.
„Ich war mit meiner Mutter in der Ausstellung. Die Demenz nimmt zu, aber sie erfreut sich noch so an der Kunst. Als sie das Bild sah, hatte sie Tränen in den Augen und sagte immer wieder „mein Mädchen“. Das hatte ich erst nicht verstanden. Dann begann ich nachzuforschen und es stellte sich raus, dass das Mädchen auf dem Bild meine Schwester war. Meine Eltern haben nie über den Unfall gesprochen, aber ….“ Tränen erstickten ihre Stimme.
„Und weil Richter das Bild nicht verkaufen wollte, haben Sie es heute unter Ihrem Kostüm rausgeschmuggelt.“
Bettina nickte nur. „Ihr könnt die Polizei ruhig holen, das ist jetzt eh alles egal.“
„Bleib du bei ihr, ich gehe.“ Ella verließ den Raum. Doch anstatt mit der Polizei, kehrte sie mit Fred Richter zurück.
Bevor die Bürgermeisterin eine Entschuldigung hervorbringen konnte, ergriff der Maler das Wort: „Hätte ich gewusst, wer Sie sind, ich hätte es Ihnen von Herzen gern geschenkt.“ Der alte Griesgram wirkte plötzlich milde.
Die Geschichte um das verschwundene Bild verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer und in der Zeitung war am darauffolgenden Montag zu lesen: „… Wer das Gemälde „Mädchen am Brunnen“ unter den Besuchersesseln versteckt hat, wird wahrscheinlich immer ein Geheimnis bleiben. Vermutlich wollte derjenige es später abholen. Das Bild wurde aus der Ausstellung entfernt.“
Preisübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs „Weihnachts- und Neujahrsgrüße“
Endlich konnten die Die Gewinner ihre Preise in Empfang nehmen.
Michael Voigt überraschten wir in seiner Werkstatt. Natürlich war der „Knopfmeister“ schon wieder mit einem neuen Werk seiner fantastischen Knopfbilder beschäftigt.
Mit Augenzwinkern erzählte er uns, dass sein Knopf-Mal- Vorrat noch lange nicht erschöpft ist.
Wir können uns also noch auf viele, bunte, auf- oder zugeknöpfte, auf alle Fälle einmalige Werke freuen.
Sein Preis, ein Pumphuträuchermann aus dem Erzgebirge, stellte die Stadt Wilthen zur Verfügung.
Passend dazu erhielt er noch ein Pumphutbuch überreicht. Jürgen Spottke hat es aus der Mundart von Rudolf Gärtner ins Hochdeutsche übersetzt und neu illustriert.
Diese Preise kamen zur richtigen Zeit. Denn Augenblicklich liest Herr Voigt alle Geschichten die vom Pumphut handeln. Vielleicht sehen wir den Hexenmeister bald in „Knopf-Form“.
Sophia Pötschke bekam für ihren „Weihnachtlichen Gruß aus dem Petersdom“ eine Arbeit der
Keramikkünstlerin Kerstin Fuchs. Frau Pötschke ist vielseitig, künstlerisch geprägt.
Sie spielt Geige und Klavier, liebt Musik und zeichnet gern. Vielleicht entdeckt sie ja auch durch ihren Preis die Liebe zur Formgebung und die Arbeit mit Ton.
Doch derzeit gilt ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem Abitur, welches sie dieses Jahr absolviert.
Wir wünschen ihr viel Erfolg.
Allen anderen Teilnehmern des Wettbewerbs sagt oberlausitz-art herzlichen Dank für ihre Teilnahme. Ihre Werke können noch auf unserer Website betrachtet werden.
Auswertung Wettbewerb „Weihnachts- und Neujahrsgrüße“
1
Michael Voigt
Spremberger Kirche am Abend
8.9/10
2
Michael Voigt
Weihnachtsknopfbaum
7.5/10
3
Michael Voigt
Weihnachten Niedermarkt
7/10
4
Gabriele Beinlich
Fotografik aquarelliert; 2016
6.8/10
5
Jürgen Spottke
Weihnachts-Ersatzengel
6.8/10
6
Horst Jurtz
Alle Jahre wieder
6.5/10
7
Katharina Muetzel
Weihnachtengel
5.3/10
8
Thomas Schneider
Feuer und Eis
4/10
Auswertung Wettbewerb „Weihnachts- und Neujahrsgrüße“ für Schüler
Wie in jedem Jahr hatte die Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt zum Bürgermeisterball geladen. Allein mochte Kathi nicht gehen. Und so tat Ella ihr eben den Gefallen.
Bei einer Flasche Sekt schlüpften die Frauen in ihre Verkleidung. Während aus Kathi mit Make up und einem aufwendigen Kostüm der verrückte Hutmacher aus Alice im Wunderland wurde, wählte sich Ella aus Kathis Fundus ein Nonnengewand. Entgegen ihrer Art wollte sie bei dieser Veranstaltung nicht über Gebühr auffallen.
Wie sie am Rathaus ankamen, waren dort schon reichlich Gäste versammelt. Die Bürgermeisterin – ein Faschingsfan vor dem Herrn und sich für keinen Spaß zu schade – stand als Sumo-Ringer vorm Eingang. Ella warf Kathi einen fragenden Blick zu. Die zuckte nur grinsend mit den Schultern und lief schnurstracks auf den Sumo zu.
„Bettina, du hast dich mal wieder selbst übertroffen. Was ist das?“ Kathi stupste Bettina Rößler an den runden Sumo-Bauch.
Die Bürgermeisterin kicherte. „Alles heiße Luft.“ Sie lüftete kurz den Gürtel und ein Ventil kam zum Vorschein. „Ich dachte, ich komme heute meinem Ruf, aufgeblasen zu sein, mal nach. Die Bars sind wie immer im Foyer und wenn ich euch einen Tipp geben darf, geht mal nach oben, da gibt es Häppchen und zudem eine tolle Sonderausstellung mit Bildern eines ortansässigen Künstlers. Fred Richter. Tolle Werke!“
„Danke für den Tipp und bis später.“ Kathi schlug der Sumo-Bürgermeisterin freundschaftlich auf die Schulter, Ella legte die Hände zusammen und nickte ihr zu. Dann betraten sie das Rathaus, in dem die Party in vollem Gange war.
Kathi und Ella bestellten sich an der Bar zwei Gläser Sekt und drängten sich durch die feiernde Menge bis zum Treppenaufgang. In der oberen Etage war es deutlich ruhiger. Zwar hörte man leise die Partymusik aus dem Foyer, aber hier konnte man sich wenigstens unterhalten.
Die Ausstellung trug den Namen „Heimat und Stadt“ und zeigte vorwiegend lokale Sehenswürdigkeiten. Die geschickte Farbgebung der Bilder ließ diese in einem besonderen Licht erstrahlen. Kathi, die meisten Motive erkannte, erklärte die ihrer Freundin. Eine Ausnahme aus der Reihe befand sich direkt neben der Tür der Bürgermeisterin. Das Gemälde zeigte ein kleines Mädchen, welches am Rand des Stadtbrunnens saß und lächelnd eine Hand unter das fließende Wasser hielt.
Lange betrachteten die Freundinnen das Bild, bis Ella die scheinbar passenden Worte fand. „Das Bild ist großartig, aber fällt dir was auf?“
„Es ist viel kleiner, als die anderen.“ Während die beiden über Pinselführung und Farbverläufe fachsimpelten, bemerkten sie nicht, dass sich ihnen ein älterer Herr angeschlossen hatte.
„Ein frühes Werk.“
Verdutzt drehten die beiden sich um, um herauszufinden, wer da sprach.
„Verzeihung, ich wollte Sie nicht belauschen, aber ich fand ihre Interpretation so zauberhaft. Das ist ein früheres Werk des Künstlers“, referierte der Herr, der aussah wie ein gealterter Salvador Dali, „es hängt hier auf besonderen Wunsch der Bürgermeisterin, obwohl es eigentlich nicht zur Reihe gehört.“
„Das erklärt einiges“, räumte Kathi ein, „Sie kennen sich in der lokalen Kunstszene aus oder kennen Sie den Künstler persönlich?“
„Nun“, erwiderte der Herr, „genaugenommen beides. Ich möchte Sie nicht hinters Licht führen, es ist eines meiner frühen Werke. Gestatten, mein Name ist Fred Richter.“ Er schüttelte den Frauen die Hand.
„Sehr erfreut.“
„Herr Richter.“ Ein englischer Gentleman gesellte sich zu ihnen. „Wie ich Ihre Werke bewundere. Aber dieses hier ist wirklich besonders.“
„Aber auch an Sie verkaufe ich es nicht. Allein, dass es hier hängt, bereitet mir Bauchschmerzen.“
Die Frauen verabschiedeten sich und beschlossen, etwas zu tanzen. Im Treppenhaus kam ihnen die Bürgermeisterin entgegen und sie hatten Mühe, aneinander vorbeizukommen.
Nachdem Sie eine Viertelstunde ausgelassen getanzt hatten, fiel Kathi auf, dass sie ihren Hutmacherhut nicht mehr hatte. Erschrocken schaute sie sich um. Dann schlug sie sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Der liegt bestimmt noch oben. Es war so heiß mit Perücke und Hut, da hab ich ihn abgesetzt. Ich hol ihn fix, besorgst du uns noch was zu trinken?“, rief sie Ella zu, um die Musik zu übertönen. Die nickte. Schnellen Schrittes eilte Kathi die Treppe hinauf. Hier oben war es voller geworden. Zum Glück erinnerte sie sich an die Stelle, wo sie den Hut abgelegt hatte. Gerade wollte sie wieder gehen, als Sie bemerkte, dass die Tür des Bürgermeisterbüros offenstand. Vorsichtig steckte sie den Kopf hinein.
„Hallo. Ist hier jemand?“
„Äh, hallo. Ja. Ich. … Moment bitte.“
Die Stimme gehörte zu Bettina Rößler.
„Alles in Ordnung bei dir.“
„Ja, ja, alles gut.“ Die Bürgermeisterin lunschte vorsichtig um die Ecke. „Hast du eine Vorstellung, wie schwierig es ist, hiermit auf Klo zu gehen?“, lachte sie verlegen, „ich muss mich nur wieder vollständig aufblasen. Ich komme gleich.“ Kathi hörte das Summen eines Kompressors.
„Brauchst du Hilfe?“
„Nein, nein, das geht schon. Du kannst ruhig wieder feiern gehen, ich komm zurecht.“
„Na schön. Und du kommst wirklich klar.“
„Na klar. Viel Spaß dir noch.“
Kathi hatte das unbestimmte Gefühl, dass Bettina Rößler diese Situation sehr unangenehm war. Aber warum ließ sie dann die Tür offenstehen.
Am Treppenaufgang wartete Ella mit zwei vollen Gläsern in den Händen und sie beschlossen, wo sie schon hier waren, nochmal von den Häppchen zu kosten.
Bettina war inzwischen wieder aufgepumpt und kam gerade aus ihrem Büro. Als sie die Tür hinter sich schloss, stieß Ella Kathi an. „Das Bild! Guck mal, das Bild ist weg.“