In diesem Monat gibt es einen kleinen Auszug aus dem Roman „Unebene Wege“,
dieser Roman ist in einer neuen Auflage im März – pünktlich zur Leipziger Buchmesse –
erschienen und im Buchhandel und allen Online- Portalen erhältlich.
Prolog
»Beeil dich! Check-out war bereits vor einer Stunde«, sie rollt mit ihrem Koffer an ihm
vorbei, als er aus dem Bad kommt. Er packt eilig seine Reisetasche, fünf Minuten später ist
auch er an der Rezeption des Hotels. Dort wedelt Anke mit einem bunten Blatt Papier, lacht
und liest ihm laut vor: »Bei Ballon-Tours können Sie ein Super-Sommer-Sonnen-Ticket für
zwei nette Menschen erwerben.« Christoph schaut in ihre frohlockenden Augen, sieht auf
dem Flyer einen Ballon am blauen wolkenlosen Himmel.
»Zwei nette Menschen«, sie schaut ihn an. »Sind wir doch, oder?«
Gedanklich ist er noch unter der Bettdecke im Hotelzimmer, und denkt: Ich war gerade im
Himmel. Seine Nasenflügel hatten gezittert, als er versuchte, Ankes verführerischen Duft
zu erschnuppern. Sie hatte sich zusammengerollt, die Knie am Körper. Ihre Haare auf der
Bettdecke, zwei hellblonde Flüsse. Er hatte mit seinen Lippen ihr Gesicht ertastet, den Hals,
die Ohrläppchen. Alles an ihr war samtig, weich, anschmiegsam. Jetzt steht sie vor ihm,
frisch geschminkt, die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengezurrt, wedelt mit dem
Flyer durch die Luft und strahlt. Ihr ganzer Körper strahlt, als sie sagt: »Eine Ballonfahrt,
das wäre doch was«, Worte wie Konfettiwirbel.
»Unsere Hochzeitsreise in einem Ballon! Toll, oder …?« Ein langer Strom von Sätzen
sprudelt aus ihr heraus. Hochzeitsreise, denkt er. Er hat gerade erst angefangen,
daran zu glauben, dass ihre Liebe dauerhaft sein könnte.
Bisher war seine Zukunft ein großes weißes Blatt, auf dem er versucht hatte, verschwommen
ein paar Linien einzuzeichnen. Jetzt soll er mal eben so, ganz spontan auf diesem Blatt
eine sehr bedeutsame Linie ziehen? Hochzeit …, puh. Christoph stellt den Koffer ab, kramt in seiner Umhängetasche nach der Visa Karte.
Die Rechnung liegt schon auf dem Tresen.
Die Rezeptionistin schaut wartend. Er gönnt sich den Zeitaufschub, sucht bewusst
langsam in allen Taschen.
Beim Verlassen des Hotels wedelt Anke erneut mit der Ballonwerbung.
Er holt tief Luft, als wolle er tauchen: »Na ja, die einen machen monströse Hochzeitsfeste
am Gardasee oder auf den Kanaren, wir feiern in einem Heißluftballon«,
ungewollt schießen ihm die Worte aus dem Mund.
Das Wetter hat mitgespielt. In aller Frühe wird das Brautpaar in einem weißen Mercedes an
den vereinbarten Ort gebracht. Die bunten Bänder flattern im Morgenwind. Etwas nachtmüde
noch, lehnen beide Schulter an Schulter im weichen Polster des Wagens. Als das Auto
vorfährt, ist der Pilot noch beim Aufbau des Ballons. Ein Korb und ein riesiger Stoffsack
werden aus einem Jeep befördert. Christoph schaut jetzt hellwach zu Anke: »In diesen
Korb sollen wir steigen? Gruselig.« Dann sieht er, wie der Pilot zwei kleine rote Luftballons
in die Höhe schickt. Schnurgerade steigen sie auf und verschwinden bei zirka hundertfünfzig
Metern in der Luft.
Der Fahrer erklärt: »Das ist ein Test für den Ballonpiloten. Jetzt weiß er, in welche Richtung
er den Ballon samt Korb auf der Wiese ausrichten muss«, und zeigt lächelnd zum
goldfarbenen Horizont: »Den Sonnenaufgang haben wir extra für Sie bestellt.« Ankes Augen
leuchten. Das Paar zuckt zusammen, als sich lautstark ein Feuer entzündet.
»Die Brennerprobe«, erklärt der Mercedesfahrer, verlässt das Auto und bedeutet dem Paar,
noch sitzen zu bleiben.
Der Pilot legt an Tempo zu, Gasflaschen werden in der Korbkabine verstaut, das Funkgerät
und das GPS-Navigationsgerät befestigt. Die Männer ziehen den Ballon auseinander.
Am Brennerrahmen klacken Karabiner in die Halterungen – das Ende von Stahlseilen, die
den Korb tragen. Dann winkt man dem Paar, auszusteigen, der Pilot kommt mit einer roten
Rose, die er mit einem Lächeln aus dem Stoff des Ballons gezaubert hat, auf die Braut zu:
»Ich bin Sebastian, der Pilot, und werde jetzt mit Ihnen in den blauen Morgenhimmel fahren.
« Mit spitzbübischem Tonfall fügt er hinzu: »Na, im siebten Himmel waren Sie ja wohl
schon.«
Wie durch Geisterhand richtet sich der Heißluftballon auf. Noch hindert ihn ein Stahlseil,
das den Ballonkorb mit dem Jeep verbindet, am Davonschweben. Pilot Sebastian winkt,
Christoph nimmt Ankes Hand und führt sie zum Korb. Sie steigen ein.
Dann löst der Pilot die Schnellkupplung und sanft schwebt der Heißluftballon auf.
Das Abenteuer beginnt. Ein Rascheln am Korb, als der Ballon über die Pappelkronen streicht.
Sebastian dosiert mit einem Hebel über seinem Kopf das Gas.
Man steigt in den Himmel auf, über das Blau des Stausees, über Wälder und Wiesen.
Der Pilot meint, es seien seine schönsten Augenblicke, wenn er sich im Morgenlicht in den
Himmel schwingen kann. Ankes Bluse flattert im Wind wie der Flügel eines Schwanes.
Sebastian scherzt viel, erzählt kleine Episoden aus seinem Pilotenleben.
Plötzlich und unvermittelt ist der Pilot still, sein Lachen wie ausgeknipst.
Christoph fühlt wie Anke sich an ihn krallt. »Stimmt was nicht?«, flüstert sie.
Er legt den Arm um seine Braut, mit der linken Hand sucht er instinktiv in seinen Jacketttaschen
nach dem Handy, wendet sich nach einigen Minuten an den Piloten:
»Ist alles okay?«
»Zwischen Himmel und Erde sollte man vielleicht einfach mal die Stille genießen«, sagt
Sebastian mit belegter Stimme.
Der Ballon schwebt über Ortschaften, Seen, eingebettet in grüne Hügel, Felder im Schachbrettmuster.
Als der Pilot wieder zu sprechen beginnt, hat seine Stimme einen schwermütigen Klang:
»Heute, genau an diesem Tag – das heißt, in der Nacht vor neununddreißig Jahren – sind
meine Eltern mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus dem damaligen Osten Deutschlands
über die Grenze in den Westen gelangt. Es muss eine sehr aufregende Nacht gewesen
sein.« Sebastian erzählt, der Ballon habe die Grenze in zweieinhalbtausend Metern Höhe
überquert und eine Strecke von zirka 18 km zurückgelegt. Den Ballon hätte sein Vater gelenkt.
Ein gefährliches Unternehmen. Doch wohlbehalten wären die vier Insassen mit ihren
Kindern nach achtundzwanzig Minuten auf der anderen Seite Deutschlands gelandet.
Am nächsten Tag hätte man in allen westlichen Medien von der spektakulären Flucht in den
Westen berichtet. »Und …«, sein Lachen kehrt zurück als er weiterredet, »meine Eltern waren
ein junges Paar damals – wie Sie beide.«
Nach dieser „Hochzeitsreise“ erfährt Christoph am nächsten Morgen von seiner Frau, dass er Vater werden wird.
Was so leicht und locker beginnt, weckt in dem Protagonisten Kindheitserinnerungen. Er, ohne Vater aufgewachsen, wie soll er wissen, wie ein Vater zu sein hat? Vergangenheit und Zukunft treffen aufeinander.
Ein Roman über das Ende der achtziger Jahre, eine Kindheit, das Erwachsenwerden
und die ständige Sehnsucht nach einer harmonischen Familie.
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