Es ist Mai – das Reisefieber erwacht …
Es gibt in diesem Monat einen Auszug aus meinem Buch
„Reisen, um zurückzukehren“:
Neun Geschichten sind zu einem Roman konzipiert.
In dieser Maigeschichte fliege ich mit der Lufthansa nach Marokko.
Spuren im Sand
Der Bus fährt vom Flughafen Agadir nach Marrakesch,von dort geht es nach Erfoud zum Hotel Bougafar. Das Hotel liegt am Rande der Wüste Sahara.
In aller Frühe fahren wir zum Highlight des Tages, dem romantischen Sonnenaufgang in der Wüstenlandschaft.
Es ist noch dunkel, als wir mit Ranger Khalil durch unwegsames Gelände bis zum Rand der Sandwüste holpern. Ein blutroter großer Ball steigt langsam am Wüstenhorizont auf. Traumhaft schön. Ich stehe fasziniert im Sand – ein Naturwunder. Khalil ist plötzlich neben mir, ich spüre seinen Atem. Er legt seinen Arm um mich: »Allein sein, nicht gut.«
Danach murmelt er arabische Worte, die ich nicht verstehe. Ich hätte gern sein schwarzes lockiges Haar berührt, mein Gesicht darin versinken lassen.
Da kommen Gisa und Peter auf uns zu. Wir laufen zum Geländewagen, steigen wieder ein. Khalil winkt mich nach vorn, ich solle neben ihm Platz nehmen. Er lächelt, schaut mir in die Augen, ehe er den Motor anwirft.
Wir fahren durch die bezaubernde Landschaft zum nördlichsten Dünenberg Marokkos. Eine kontrastreiche Strecke mit Datteloasen, schroffen Hochebenen und Schluchten. Auf einem Hochplateau legt unser Ranger eine Pause ein, verteilt fruchtige Melonenstücke, kleine Flaschen mit Mojito-Tee.
Dann überlässt er uns freie Zeit, rechts oder links des Wüsten-Pfades herumzuwandern.
»It`s the nice view«, meint er, und zeigt in die Landschaft.
Gisa und Peter setzen sich in den Schatten unter einen Affenbrotbaum, sie wollen nicht wandern. Ich winke Khalil zu, bedeute ihm mit einer Handbewegung mitzukommen. Als er im Geländewagen verschwindet, bin ich enttäuscht. Doch er kommt mit einem Strohhut zurück. Herzklopfen, ein Kribbeln in der Magengegend. Eine Wanderung mit Khalil an meiner Seite … Er streift eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ein verführerisches Lächeln: »Sun is shining«, und setzt mir den Hut auf. Er zeigt auf die Spuren im Sand: »Hier sich man kann nicht verlaufen.« Dann läuft Khalil zu seinem Geländewagen zurück, winkt kurz und entschwindet meinen Blicken.
Ich bin ernüchtert, hole tief Luft, ziehe meine Sandalen aus, vor mir ein Meer aus Sand.
Ich laufe langsam zu einer Anhöhe, sehe in der Ferne im rotgelben Tal Beduinenzelte. Eine kleine Palmenoase. Männer sitzen im Schatten am Zelteingang. Die Frauen schleppen auf ihren Köpfen sperriges Geäst heran. Eine Oase für Männer?
Verwirrt wende ich mich ab, um zurückzugehen. Und …, suche den Sandpfad.
Wo ist der Weg? Sand, überall Sand. Meine Spuren wie weggeblasen.
Was sagte Khalil: Man kann sich hier nicht verlaufen.
Ich überlege, rechts oder links? Geradeaus? Geländewagen, Affenbrotbaum, nichts ist zu sehen. Typisch, höre ich meine Freundin sagen, du läufst los, ohne auf den Weg zu achten.
Angst brennt mir im Hals, Sandstaub klebt am Gaumen. Ich keuche und schnappe nach Luft. Ich zwinge mich, ruhig zu atmen, vor allem auszuatmen, was ich, wenn ich mich ängstige, einfach vergesse. Meine Füße eilen, Gruselgedanken laufen nebenher. Von Wüstenfüchsen und Wildkamelen hatte Khalil gesprochen,. als er uns sein Gewehr zeigte.
Es ist heiß geworden, krampfhaft halte ich den Sonnenhut fest.
Meine Fußsohlen brennen. Ich schlüpfe in die Sandalen. Ruhig bleiben, sage ich mir und stapfe durch den Sand. »Alleinsein, nicht gut«, hatte Khalil am Morgen gesagt, als er beim romantischen Sonnenaufgang den Arm um mich legte.
Aus dem leichten Prickeln in mir ist jetzt eine Panikattacke geworden.
Auf einmal sehe ich in der Ferne den Affenbrotbaum und unseren Jeep. Fata morgana?
Nein, bitte nicht! Wieder ist da die Angst im Hals. Ich versuche zu rennen. Unmöglich in dieser Sandwüste. Als ich näher komme, höre ich Schimpftiraden. Gisa`s Stimme:
»Hey, was ist? Geht’s weiter? « Khalil liegt im Auto neben seinem Gewehr und schläft.
Gisa stößt ihn an. Peter nimmt das Gewehr und spielt den Polizisten.
Der Ranger reibt sich die Augen, hebt die Arme und lacht: »It`s all right.«
Wir steigen ein. Er setzt sich ans Steuer, und… der Motor springt nicht an. Mehrmalige Versuche, ihn in Gang zu bringen sind erfolglos. Er hantiert an der Schaltung, am Motor, kriecht unter den Auspuff, schraubt etwas, springt nervös um den Wagen herum.
Wie soll das jetzt weitergehen? Gerade hatte mein pochendes Herz sich beruhigt, nun das hier. Khalil läuft mit seinem Telefon hin und her.
Peter tröstet mich: »Auch in der Wüste gibt es Sattelitenempfang …«
Wir setzen uns in den Sand. Trockene Luft fegt über die Steppe.
Es wird Abend. Die Sonne steht so niedrig, dass sie auf dem Boden zu ruhen scheint.
Gleich würde sie untergehen.
Mein Herz zittert erneut. Ich grabe mich in den Sand ein, um mich darin geborgen zu fühlen und schirme das Gesicht mit meinen Händen ab.
Khalil hat jetzt sein Gewehr geschultert, steht plötzlich neben mir:
»New jeep coming in two hours«, er reicht mir einen Becher Mojito-Tee, deckt mich mit einer Wolldecke zu, haucht einen Kuss auf meine Stirn und deutet mit einer Armbewegung nach oben.
Die Sterne sind greifbar nahe über uns. Khalil lächelt verschmitzt: »Abenteuer pur«, seine Augen schauen tiefgründig. Das Prickeln vom Morgen ist wieder in mir.
Gisa und Peter liegen eng umschlungen. Sein Kopf in der Beuge ihres Halses. Beider Atem verschmilzt in tröstlicher Gleichmäßigkeit. Alle Bilder lösen sich und fallen hinaus in das nackte Wüstenlicht des Abends. Ich ziehe die Wolldecke über meinem Kopf zusammen und spüre Khalils Lippen auf meiner Haut.
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Beitragsfotos: -kostenlos-pixabay