
Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff
Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff
Zwei Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer habe ich bisher mit meinen Freunden erlebt.
Die Erzählung, die ich für meine Juli-Geschichte ausgesucht habe, ist zum größten Teil fiktiv und soll die Leser nicht nur unterhalten, sondern auch etwas nachdenklich stimmen.
Vielleicht hätte es ein Traum bleiben sollen… Sie schwankte zwischen Kabinentür und Bullauge, zwischen Bangigkeit und Abenteuer hin und her.
»Einen wunderschönen Guten Abend, hier spricht ihr Kreuzfahrtdirektor …«
Eine flammende Begrüßungsrede.
Man lud ein zum Kapitänsempfang in die Sirocco Lounge. Ihr Herz klopfte mächtig. Sirocco Lounge? Auf dem Deckplan, der an der Kabinentür schaukelte, sah sie den kleinen roten Punkt mit der Nummer ihrer Kabine und drum herum einen farbigen Irrgarten. Ihr war unheimlich.
Was ziehe ich an? Das kurze Schwarze? Oder doch lieber das rote lange Kleid?
Kleiderordnung, wie lächerlich, dachte sie.
Ich nehme das rote. Make-up, Puder, Lippenstift.
Ein Fahrstuhl ersparte ihr das Herumirren in labyrinthischen Gängen. Es glitzerte und funkelte. Bunt frisierte Damen im Arm weißhaariger Herren. Immerhin, ein Arm in den sie sich hängen konnten. Der Kapitän, jugendlich, elegant. Sie sah das Licht der Scheinwerfer auf dem Seidenglanz seiner dunklen Haare. Paare trennten sich und umrahmten für den Moment des Blitzlichtaufflammens den Kapitän. Sie wollte unbemerkt vorbeihuschen, jedoch der Fotograf schob sie ins Scheinwerferlicht … Sie, die keinen Rahmen hinbekam, so allein.
Den ganzen Abend wanderte sie umher. Sie sah Gespräche und Sprecher vorübertreiben, hörte auf Unsinniges, Zusammenhangloses, bemühte sich manches Mal, es zu verstehen. Sie hielt sich an ihrem Sektglas fest, schlenderte über das Deck, stellte sich hierhin und dorthin und blieb doch ohne Anschluss.
Am nächsten Tag steckten die Fotos vom Vorabend an einer Pinnwand, sie sah auf dem Gang zum Buffet das Gesicht des Kapitäns in leicht angestrengter Freundlichkeit tausendfach herüberschauen. Das Schiff schwankte – ein Wechseln von einer Seite auf die andere.
Sie saß an Deck an einem Tischchen nahe der Reling. Ganz weit unter ihr das Meer. Auf dem Wasser lag die Gischt wie eine Spitzenborte. Würde sie einen Stein ins Wasser werfen, das Geräusch des Ein- tauchens wäre hier oben nicht zu hören. Dunkelblaue Wellen schlugen gegen den Bug. Ihr Kaffee schaukelte sich ein in den Rhythmus, der vorgegeben war. Geschirrgeklapper im Wettstreit mit dem Rauschen der Wellen, das schließlich zum Verlierer wird. Ein ständiges Hin und Her mit randvollgeladenen Tellern vom Buffet.
Ein dunkles Gesicht beugte sich zu ihr herab. Schmale Wangen. Augen, die frei in den Höhlen lagen – traurige Augen. Thailand oder Indien. Der Mund breitete sich zu einem Strahlen. Eine Frage, ein Gemisch aus Englisch und deutschen Lauten. Nein danke, sie mochte nichts essen. Das Lächeln war urplötzlich weggewischt, und sie sah ein hungerndes fernes Land im Blick. Sie hätte sich ein Menü bringen lassen sollen … Sie erhob sich und versuchte einen Rundgang über ihre Wunscherfüllung. Sie schaukelte vorwärts.
Der Wind tanzte mit ihr, hielt sie fest, zerrte an ihrem Körper. Sie musste aufpassen, dass er sie nicht zu Boden riss. Eine schmale Treppe. Sie hielt sich krampfhaft am Geländer fest, erreichte das Pool-Deck. Im Pool planschten Kinder. Das blaue Wasser schaukelte im Quadrat auf und ab.
Santorin – die griechischen Vulkaninsel – wirkte vom Schiff wie ein mit Schnee bekleckster Felsen. Vom Land aus sah sie vor dem Hintergrund des grauen Gesteins das Kreuzfahrtschiff, strahlend weiß – ein schwimmender Tempel. Wohlstand und Vergnügen. Arbeitsplätze für die Ärmsten der Armen, dachte sie.
Sie stieg hinauf nach Thira, zur höchsten Stelle des Ortes. Vom Gipfel ein schwindelerregender Blick auf die Bucht. Ihr war es, als wäre sie aus der Gegenwart herausgetreten.
Das starke Licht, klar und farblos über der Insel. Weiße Häuser, ausgeschüttet wie Würfelzucker. In den schmalen Gassen drängten sich die Touristen. Blonde, braune, behütete Köpfe. Wie emsige Ameisen, die die Ruhe stören. Die glückliche Bewegung aus der Tiefe des Körpers, sie wollte sie teilen. Sie schloss die Augen, streckte die Hand aus, um sich an eine Schulter zu lehnen …, doch da war niemand. Plötzlich ein gutaussehender junger Mann vor ihr, er nahm lächelnd ihre Hand in seine großen Hände: »Sorry Madam, did you mix me up?«
Sie wurde verlegen, die Hitze stieg ihr ins Gesicht: »Excuse me.« Ihr Englisch war wohl etwas holprig, denn er sprach nun plötzlich Deutsch, zeigte auf den Ort:
»Ein beeindruckender Blick, am Kraterrand die blaue Kuppel einer Kirche, mit dem Blau des Meeres eine Einheit bildend. Und dazu der Geruch von Sand, Meer und Kräutern.«
Wie romantisch er ist, dachte sie.
Beim Abstieg lief er vor ihr. Als es sehr steinig wurde, streckte er ihr die Hand entgegen:
»Bloß nicht stürzen.« Und als sie an einem kleinen Restaurant vorbeikamen, lud er sie zu einem Cocktail ein.
Am Abend auf dem Schiff drängten sich die unstillbaren, esslustigen Passagiere ans reichhaltige Büfett. Sie stand am Ende der Warteschlange, hielt ihren leeren Teller in der Hand. Ihr verging der Appetit. Sie dachte plötzlich an ihre Mutter. Seit ihr Max gestorben war … Sie war so allein. Sie hätte die Mutter mitnehmen können. Doch diesen Luxus, das viele Essen hätte sie wohl nicht ertragen: ›Tausende Menschen könnte man vom Hungertod retten‹, hörte sie die Mutter sagen. Sie wäre in ihr Delirium verfallen, hätte trockenes Brot gegessen und ihren Speiseteller der Besatzung im Maschinenraum gebracht.
Als sie sich mit ihrem leeren Teller wieder aus der Menschenschlange hinausdrängelte, an den Wartenden vorbei zu ihrem Platz, berührte sie jemand an der Schulter:
»Hey, hast du keinen Hunger nach der langen Wanderung?« Fast wäre ihr vor Schreck der Teller aus der Hand gefallen. »Du auch hier an Bord?« Sie versuchte ein Lächeln, zeigte auf ihren leeren Teller: »Das Wassermelonencocktail in Santorin sättigt auch.«
»Ach, komm, ich nehme deinen Teller mit und wenn ich dran bin, schaust du mal, was du essen möchtest, okay?«
Als sie dann mit einem vollen Teller zu ihrem Tisch zurückging, wusste sie nicht, wovon ihr plötzlich die Knie weich wurden …, vom langen Marsch durch Santorin?
Nach dem Essen suchte sie sich an Deck einen Platz mit Blick aufs Meer. Über dem Meer leuchtete die schmale Sichel des Mondes.
Ihre Gedanken waren noch einmal in Santorin. Sie sah sich in der kleinen Bar sitzen, das Glas erhoben, in glitzernde Augen schauend, ein Prickeln in der Magengegend.
Und plötzlich war es wieder da, als sich von hinten Arme um sie legten. Sie fühlte einen Lippenhauch auf ihrem Haar: »Kommst du mit mir? Ich lade dich ein.«
An der Kabinentür stand sein Name. Er war also auch allein. In der kleinen Kabine ein feuchter Kuss, der Funke, der den Brand verursachte. Er knöpfte ihr die Bluse auf und unter den Liebkosungen seiner Finger wurde ihr ganz warm und weich. Eine dämonische Macht ging von ihm aus. Und dann … war es Rettung oder begieriger Untergang? Der Kapitän lud über den Lautsprecher zu einem Mitternachtsmenü mit Tanzmusik ein.
Sie sprang auf, knöpfte sich die Bluse zu: »Sorry, das kann ich nicht«, und verließ hektisch die Kabine. Sie lief noch einmal hoch auf die Aussichtsplattform an die Reling, schaute in den Sternenhimmel und zur leuchtenden Mondsichel.
Die Wellen der Empfindungen, der prickelnden Gefühle sind zu kurz und vergänglich, sie können nicht in mein Herz getragen werden, dachte sie.
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Beitragsfotos: -kostenlos-pixabay
Titelfoto: Haiko Spottke