
Humboldt und der letzte Lauf – Teil 4 der Reihe um Kriminalhauptkommissar Humboldt. Das eBook ist im Juni 2021 erschienen, das Taschenbuch folgt im August.
Prolog (1991)
„Mikkel, komm jetzt raus! Mir ist kalt!“ Smila trat von einem Bein aufs andere und buddelte sich damit immer tiefer ein.Sie liebte die Unterschiede. In der Nähe des Wassers fühlte sich der Sand kühl und fest an, Richtung Dünen wurde er immer heißer und lockerer. Normalerweise würde sie noch viel länger mit ihrem kleinen Bruder im Meer toben, aber jetzt musste sie aufs Klo. Und außerdem warteten ihre Eltern sicher. Sie wunderte sich sowieso schon, dass ihr Vater nicht längst nach ihnen geschaut hatte. Er war der Ängstlichere von beiden. Zwar machte sich ihre Mutter auch ständig wegen irgendetwas Sorgen, aber sie kontrollierte sie nicht so oft.
„Mikkel, was ist jetzt?“, rief sie noch einmal.
Murrend stapfte ihr Bruder aus dem Wasser. Seine Luftmatratze zog er hinter sich her. „Och Menno, es ist doch überhaupt noch nicht spät. Und Papa ist auch noch nicht da. Los, komm nochmal mit rein.“
Smila war erstaunt, dass selbst ihrem 13-jährigen Bruder auffiel, dass ihr Vater noch nicht aufgetaucht war. Länger als eine Stunde ließ er sie selten allein. Und nun war schon viel mehr Zeit vergangen.
„Nee, wir müssen los. Es gibt sicher gleich Abendbrot“, sagte sie bestimmt. Dass sie fünf Jahre älter als Mikkel war, ließ sie nur zu gerne raushängen. Schließlich hatte sie früher häufig auf ihn aufpassen müssen, dann konnte er jetzt auch nach ihrer Pfeife tanzen.
„Müssen wir morgen wirklich schon wieder heimfahren?“, murrte Mikkel weiter, zog sich aber brav sein T-Shirt an und legte das Handtuch über die Schultern. Dann schnappte er sich die Luftmatratze. „Wir haben doch noch vier Wochen Ferien, waren doch sonst immer viel länger in Schweden. Warum denn dieses Mal nicht?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Smila. Auch so etwas, das ihr gleich komisch vorgekommen war, als ihre Eltern darüber gesprochen hatten, diesmal nur kurz in ihr Ferienhaus zu fahren. Hatten sie so viel Arbeit zuhause? Womit sie beim nächsten Mysterium war, denn selbst mit ihren achtzehn Jahren konnte sie nicht genau sagen, was ihre Eltern taten. Sie saßen oft am Computer, bekamen über ein gesondertes Telefon Anrufe, die meist nur kurz dauerten, und in letzter Zeit waren sie häufig unterwegs. Meistens nur ein Elternteil, damit das andere bei den Kindern bleiben konnte. Wenn Smila wissen wollte, was sie zum Beispiel in der Schule sagen sollte, was ihre Eltern beruflich taten, bekam sie immer die gleiche Antwort: Sie waren im Import- und Exportgeschäft tätig und mussten für verschiedene Firmen die Warenwege koordinieren. Geglaubt hatte ihnen Smila das nie. Aber da sie keine andere Erklärung bekam, beließ sie es dabei.
Auf dem Weg zu ihrem Ferienhaus beschlich Smila plötzlich ein komisches Gefühl. „Sag mal, was hat Mama gesagt, wann wir zum Abendbrot zurück sein sollten?“, fragte sie ihren Bruder.
„Hm, ich glaub um sieben“, antwortete Mikkel unbekümmert.
Smila schaute auf ihre Uhr. Jetzt war es fast halb neun. Nie im Leben hätten ihre Eltern sie so lange im Wasser gelassen. Sie schluckte. Was war es nur, was ihr plötzlich Angst einflößte?
„Bringst du die Luftmatratze in den Schuppen? Ich geh schon mal ins Haus, Mama und Papa beruhigen“, sagte sie zu ihrem Bruder und schob ihn in den hinteren Teil des Gartens.
Murrend folgte er ihren Anweisungen.
Mit klopfendem Herzen ging Smila zur Haustür und klingelte. Nichts tat sich. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Tür einen winzigen Spalt offen stand. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Normalerweise waren bei ihnen alle Türen rundherum zugeschlossen. Selbst die Terrassentür hatte ein Schloss und wurde nur geöffnet, wenn sie wirklich in den Garten wollten. So, wie das bei anderen Familien war, dass die Türen und Fenster den ganzen Tag offen standen, kannte sie es nicht. Sie beneidete ihre Freundinnen immer darum. Sagen konnte sie es nie, damit sie nicht ausgelacht wurde.
Vorsichtig sah sie sich um. Es war niemand zu sehen. Alles sah wie immer aus. Also drückte sie die Tür langsam auf. Auch in dem kleinen Flur konnte sie keine Veränderung feststellen. Smila nahm allen Mut zusammen und betrat das Haus. „Mama? Papa?“, rief sie leise. Keine Antwort. Auf Zehenspitzen ging sie weiter. Was sollte sie tun, wenn jetzt ein Einbrecher auf sie zukam? Ob sie besser gleich die Polizei rief, bevor sie weiterging? Am Ende waren ihre Eltern einfach nur beim Fernsehen eingenickt und sie machte hier alle verrückt. Aber sie wusste, dass das nicht wahr sein konnte. Ihre Eltern waren irgendwie immer auf der Hut.
Als sie sich dem Wohnzimmer näherte, hörte sie Mikkel hinter sich.
„Ich hab einen Hunger!“, rief er fröhlich. Dabei schleuderte er seine Schuhe in die Ecke.
Beinahe hätte Smila ihn ermahnt, die Schuhe ordentlich hinzustellen, doch jetzt musste sie ihn erstmal loswerden, bevor sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete.
„Du sollst noch Holz von draußen holen!“, rief sie ihm zu.
„Warum ich? Du bist dran“, sagte Mikkel und schaute sie herausfordernd an.
Da hatte er recht, dachte Smila. „Ich soll Mama noch was helfen“, antwortete sie und schob Mikkel Richtung Haustür. Wieder kam er ihrer Aufforderung knurrend nach.
Als er verschwunden war, drehte sie sich schnell um. Ihr blieb nicht viel Zeit bis zu seiner Rückkehr. Eilig öffnete sie die Tür und schaute ins Wohnzimmer. Nichts! Dann wandte sie sich der Küche zu und entdeckte sie sofort. Ihre Eltern lagen eigenartig verrenkt und doch irgendwie einträchtig nebeneinander auf dem Boden und Smila musste nicht erst nachsehen. Sie wusste, dass sie tot waren. Sie blieb wie versteinert stehen und konnte ihren Blick nicht abwenden. Hatte sie tatsächlich seit Jahren damit gerechnet, dass so etwas irgendwann passieren würde? Blieb sie deshalb jetzt so ruhig?
Wieder hörte sie Mikkel im Hausflur. Langsam drehte sie sich um und ging zu ihm. Dann legte sie einen Arm um seine Schultern und zog ihn mit nach draußen.
„Smila, lass das! Wo willst du denn hin?“, fragte er und versuchte, sich aus ihrem Klammergriff zu befreien.
„Wir müssen weg“, sagte sie nur und schloss die Tür hinter sich.
… Wo es nur ging, beobachtete ich sie. Ich schoss sogar Fotos und machte mir Unmengen an Notizen. Schon bei den ersten Schießübungen wurde mir klar, das konnte nichts werden. Abgesehen davon, dass sie sowieso nicht trafen, ruckelten sie ewig herum, bis sie endlich die richtige Liegeposition gefunden hatten.
Dann hatten sie vergessen, den Unterstützungsriemen am Oberarm einzuhaken, das Magazin steckte nicht richtig im Gewehr, die Patrone hatte sich beim Repetieren verklemmt oder, was es niemals bei Männern gegeben hätte, die Haare störten, so dass sie sich die Locke erst hinter das Ohr schieben mussten, bevor sie die Scheiben ins Visier nehmen konnten.
Und diese Lautstärke! Ständig gackerten sie los, wenn ihnen etwas nicht gelang oder sie doch mal getroffen hatten. Die Trainer kamen mir wie zwei Schäferhunde vor, die ihre Schäfchen beieinander halten mussten. Das Wort „Ruhe“ bekam selbst für mich eine völlig neue Bedeutung. Die kehrte erst wieder ein, wenn dieser Hühnerhaufen das Training beendet und sich auf den Weg in ihr Haus gemacht hatte.
Und das war das einzig Gute: die Grazien bewohnten ein eigenes Haus. Es gab also doch noch so etwas wie eine weiberfreie Zone. Die Jungs wohnten im vorderen Komplex, in dem sich auch die Trainerzimmer befanden.
Tage und Wochen zogen ins Land. Den ganzen Sommer über hatte ich genug Material gesammelt. Natürlich machten sie Fortschritte, was mich sehr beunruhigte.
Am meisten aber quälte ich mich mit der Erkenntnis, dass sie ihre Raffinesse einsetzten, um sich bei den Jungs einzuschleimen. Ich konnte es mir nicht anders erklären. Denn die verstanden sich alle prächtig. Niemand schien den guten alten Zeiten nachzutrauern. Es war zum Heulen.
Als ich endlich genug Beweismaterial zusammen hatte und meine Beschwerde einreichen wollte, hob sich der Eiserne Vorhang. Wohin jetzt mit meinen Bedenken?
Nun wollte sich jeder erstmal um sich selbst kümmern. Was tun mit der neu gewonnenen Freiheit? Welche Wege konnten eingeschlagen werden? Niemand achtete mehr darauf, was die Weiber taten. Es wurde zur Selbstverständlichkeit, da vermeintlich wichtigere Dinge anstanden.
Aber ich gab meine Mission nicht auf. Die ganze Sache hatte nur einen Haken. Ich hatte nicht bemerkt, dass die Damen mir auf die Schliche gekommen waren.
Wenn ich sie beim Schießen aus den Augenwinkeln beobachtete, drehten sie plötzlich alle ihre Köpfe in meine Richtung und stierten mich mit ihren unschuldigen Augen an. Musste ich im Kraftraum nach dem Rechten sehen, begannen sie in ihren knappen Outfits mit Verrenkungen, dass einem schwindelig werden konnte. Oder bildete ich mir das alles nur ein?
Dann dieses Tuscheln! Ständig hörte ich es zischeln, sobald ich in ihre Nähe kam. Es machte mich ganz rasend. Aber ich wollte meine Mission nicht aufgeben. Ich konnte nicht, würde ich doch meinen Frieden erst wiederfinden, wenn sie aus meinem Leben verschwunden waren.
Und nun war es also soweit. Nicht sie verschwanden, sondern ich würde gehen. Um mich war es nicht schade. Wer oder was erwartete mich schon auf dieser Welt! Aber was wurde dann aus meinem Auftrag? Ich musste doch die Biathlon-Männerwelt retten! Das wollte ich bei meiner letzten Observierung auch tun. Genau dabei kam es doch ans Licht, dass ich recht hatte.
Ich war gerade in der Waffenkammer zugange, als ich das Geschnatter hörte. Schnell hatte ich mich zwischen Schrank und Wand geklemmt, in der Hoffnung, dass sie mich nicht sehen würden.
Ihr Plappern ließ auch nicht nach, als sie begannen, die Waffen zu reinigen. Und dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Zuerst spürte ich die wohlige Ruhe, die direkt entstand. Dann den Schmerz und danach die Schwärze.
Wieder hörte ich ihr Gezeter, aber diesmal berührte es mich nicht. Ich war ihnen entkommen. Den Flintenweibern, meinen Schwestern, der Mutter, und fand endlich die Ruhe, nach der ich mich so sehnte.
Diese Geschichte widme ich den Biathletinnen, die mit mir (damals Jana Richter) durch die spannende erste Zeit im Damenbiathlon gegangen sind: Katrin Bräuer, Jana Englert, Heike Richter, Carmen Schindler, Ilka Schneider, Katrin Cruschwitz, Kerstin Fuchs und Silvia Kaden. Und den beiden tapferen Trainern Horst Koschka und Wolfgang Sturm, die es mit uns Frauen aufgenommen und uns für diesen Sport begeistert haben. Ich bin sehr froh, dass aus den belächelten Flintenweibern eine anerkannte und erfolgreiche Sportart entstanden ist.
In der Anthologie „Schatten über dem Erzgebirge“ haben die Geschichten von 22 Autorinnen und Autoren aus Tschechien und Deutschland ihre Schauplätze jeweils an einer Welterbestätte. Die Handlungen sind zweisprachig abgedruckt und illustriert und entführen die Leserinnen und Leser an diese Orte, nehmen sie mit in die Historie und entfachen Neugier, diese zu besuchen.
Meine Kurzgeschichte spielt in der Montanlandschaft Altenberg-Zinnwald, zu der ich seit meiner Biathlonlaufbahn einen besonderen Bezug habe. Natürlich ist die Handlung der Geschichte ausgedacht.
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In meinen Kriminalromanen geht es nicht nur um die Jagd nach dem Mörder. Ich finde, in einen Regionalkrimi gehört auch Lokalkolorit, Humor und die Liebe. Oder eben auch die Hassliebe. Heute möchte ich meinen Ermittler Humboldt zu Wort kommen lassen, der die Journalistin Christin Weißenburg furchtbar nervig findet. Nervig und doch irgendwie anziehend.
Der Ermittler und die Journalistin Teil 1: Wie Humboldt Christin kennenlernte
Humboldt erzählt:
Ich war am Tiefpunkt meines Lebens angelangt. Meine Frau hatte die Scheidung durchgezogen. Wir lebten seit zwei Jahren getrennt und ich dachte immer, das würde sich wieder einrenken. In der ersten Zeit habe ich sie einfach in Ruhe gelassen, damit sie wieder zu sich finden konnte. Doch dann habe ich versucht, um sie zu kämpfen, mit Blumen, kleinen Geschenken und Einladungen zum Essen. Anfangs reagierte sie noch darauf, wenn auch zögerlich. Und dann schien sich etwas in ihrem Leben geändert zu haben, denn sie antwortete auf keine meiner Nachrichten mehr. Kurz darauf sah ich den Grund. Sie schlenderte Hand in Hand mit so einem Anzugträger am Elbufer entlang. Tja, die Scheidung war dann die logische Folge. Trotzdem riss es mir die Füße weg. Ich taumelte nur noch durchs Leben. Und irgendwann in Wallis Etablissement. Walli kannte ich von früheren Ermittlungen, sie war mehr mütterliche Freundin, als dass sie mir eines ihrer Mädels hätte anbieten wollen. Ich durfte einfach bei ihr am Tresen sitzen. Wollte ich reden, hörte sie zu. Wollte ich schweigen, ließ sie mich in Ruhe.
Da ich mich quasi in einer Art Trance befand, merkte ich nicht, dass mir die Journalistin Christin Weißenburg für ihre Klatschspalte nachspionierte. Natürlich war es für sie ein gefundenes Fressen, den Kriminalhauptkommissar der Stadt Dresden im Puff zu erwischen. Und wenn man ihren Bildern Glauben schenken wollte, sah es ganz danach aus. Sobald sich eines von Wallis Mädels neben mich gestellt hatte, drückte sie ab. Dabei wollten die Schönheiten sich nur mit mir unterhalten, Walli hatte sie instruiert: aufmuntern, aber nicht anbaggern.
Warum auch immer Christin die Bilder nicht einfach benutzt hatte, jedenfalls lagen sie irgendwann mit einer Nachricht von ihr im Briefkasten. Allerdings wollte sie weder Geld noch stellte sie eine andere Forderung. Sollte es eine Drohung sein? Ich beschloss, ganz offen damit umzugehen und erzählte alles meinem Chef. Mit dem konnte man reden und er fand auch gleich eine praktikable Lösung. Wir luden Christin zu einer Besprechung ein. Dabei offenbarten sich ihre Beweggründe, die uns sehr überrascht hatten.
Aber davon kann sie beim nächsten Mal selbst erzählen.
Ich muss dann mal weiter!
Euer Humboldt
Eigentlich wäre der Februar ja die perfekte Zeit für die Lichtengänger. Nun ist in diesem Jahr alles anders und wir werden keine vermummten Gestalten durch den Schnee huschen und stumm an den Haustüren klingeln sehen. Deshalb habe ich mir gedacht, es könnte Ihnen vielleicht gefallen, sich durch eine meiner Geschichten in die Situation hineinzuversetzen. Ob Sie nun GastgeberIn sind oder sich der schwitzenden Menge anschließen, können Sie ja selbst entscheiden :-).
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Zur Einstimmung heute eine Anekdote zum Schmunzeln: Während der Recherche zu meinem letzten Oberlausitzkrimi „Humboldt und der kalte See“ habe ich mich lange mit einem Mann unterhalten, der viele Infos zu einem geschichtlichen Thema für mich hatte. Der Name des Mannes bleibt geheim und wenn ich erzähle, worüber wir gesprochen haben, verrate ich zu viel von der Handlung des Romans. Also eine anonyme Geschichte … ich liebe anonyme Kapitel in meinen Büchern :-).
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