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„Humboldt und der kalte See“

von | 14. Februar 2021

Foto Februar 2021Eigentlich wäre der Februar ja die perfekte Zeit für die Lichtengänger. Nun ist in diesem Jahr alles anders und wir werden keine vermummten Gestalten durch den Schnee huschen und stumm an den Haustüren klingeln sehen. Deshalb habe ich mir gedacht, es könnte Ihnen vielleicht gefallen, sich durch eine meiner Geschichten in die Situation hineinzuversetzen. Ob Sie nun GastgeberIn sind oder sich der schwitzenden Menge anschließen, können Sie ja selbst entscheiden :-).

Der Textausschnitt, den ich heute für Sie habe, ist der Prolog meines Oberlausitzkrimis „Humboldt und der kalte See“ und beginnt eben mit jenem Oberlausitzer Brauch. Im Grunde war die Situation, wie sie im Roman beschrieben ist, der Aufhänger für das Buch. Denn, wie meine Mutter mir erzählte, ist es ihrer Gruppe damals beim Lichten gehen wirklich passiert. Ein Nachzügler, den keiner kannte, kam, aß und trank, packte seine Handtasche aus und wieder ein und verschwand. Diese Anekdote hat mich lange begleitet und nun endlich Einzug in eine Geschichte gefunden. Lesen Sie selbst:
Prolog „Humboldt und der kalte See“
Freitag, 18. Januar 2019
Die Hitze war unerträglich. Allmählich schien sein Körper im eigenen Saft zu schwimmen. Unauffällig lupfte Humboldt seine Maske, um wenigstens für ein paar Sekunden Luft an eine Stelle seines Körpers zu lassen. Doch selbst die spürte er kaum. Es mussten über 30 Grad in der Küche herrschen.
„Will noch jemand einen Glühwein oder Grog?“, fragte die fröhliche Gastgeberin und goss, ohne auf Antwort zu warten, die Tassen und Gläser wieder voll. Antworten würde ihr hier sowieso niemand. Jedenfalls so lange nicht, bis sie herausbekommen hatte, wer sich hinter der Verkleidung verbarg.
Humboldt schnaufte leise, was ihm direkt einen Tritt seiner Nachbarin einbrachte. Christin hatte ihn zu diesem Oberlausitzer Brauch eingeladen. Allerdings hatte er nicht gewusst, worauf er sich da einlassen würde.
Die Gruppe hatte sich in der Baude, die Christin von Zeit zu Zeit bewohnte, getroffen. Nach dem ersten Drink waren plötzlich alle dazu übergegangen, sich in die verschiedensten Kleidungsstücke zu hüllen. Anfangs hatte sich Humboldt noch köstlich über die Vogelscheuchen amüsiert, die da vor ihm standen, bis Christin ihm einen Berg Klamotten reichte und ihn aufforderte, sich endlich fertigzumachen. Erst da war ihm bewusst geworden, was sie mit Verkleiden gemeint hatte, als sie ihn eingeladen hatte. Allerdings war ihm noch immer nicht klar gewesen, was diese vermummten Gestalten vorhatten. Er hatte sich einen riesigen Mantel, der nach Mottenkugeln roch, umgelegt, eine Teufelsmaske und Handschuhe übergestreift und war in ein Paar Arbeitsstiefel geschlüpft, die ihm drei Nummern zu groß waren. Diesmal hatte er die Lacher auf seiner Seite. Fröhlich waren alle ins Tal aufgebrochen und hatten vor einem für diese Gegend typischen Umgebindehaus Halt gemacht.
Mittlerweile hatte Humboldt erfahren, dass es sich um das Lichtengehen handelte. Dabei meldete sich eine Gruppe anonym bei den Gastgebern an, die sich entsprechend auf den Besuch vorbereiteten. Das Zimmer wurde mit allem, was zur Verfügung stand, aufgeheizt, es gab heiße Getränke und scharfes Essen. In ihrem Fall hatte es sich der Gastgeber nicht nehmen lassen, ein feuriges ungarisches Kesselgulasch zu servieren. Das Spiel ging so lange, bis die Gastgeber herausgefunden hatten, wer sich hinter der Verkleidung verbarg. Diejenigen, die erraten waren, durften sich endlich entkleiden und befreit feiern. Die anderen mussten weiterschmoren.
Nachdem nun die ersten ihre Hüllen hatten fallen lassen, versuchte Humboldt, in Christins Augen zu schauen. Noch steckte auch sie in ihrer Verkleidung fest. Doch auch ohne das Gesicht zu sehen, erkannte Humboldt in ihren Augen ein amüsiertes Grinsen. Er ahnte, dass er es lange würde aushalten müssen, denn schließlich kannte ihn kaum jemand in Oybin. Und auch wenn er Andrea, die heutige Gastgeberin und Christins Freundin, schon einmal gesehen hatte – konnte sie ahnen, dass er extra für diesen Schabernack aus Dresden gekommen war?
Als die nächste Gestalt unter lautem Gelächter entlarvt war, klingelte es an der Tür.
„Huch, habt ihr jemanden vergessen?“, fragte Andrea. Sie schaute in die verschwitzten Gesichter ihrer Gäste.
„Wir sind alle da. Das lässt sich doch keiner entgehen und kommt so spät noch“, antwortete ein Entkleideter aus der Runde.
Andrea schlüpfte schnell zur Küchentür hinaus, um ja nicht so viel Wärme aus dem Raum entweichen zu lassen. Wenig später stand sie mit einem vermummten Gast in der Tür.
„Tja, da habt ihr wohl nicht richtig nachgezählt. Hier ist euer Nachzügler“, lachte Andrea in die Runde.
„Setz dich. Getränk kommt sofort“, sagte sie und schob den verspäteten Gast zu einem leeren Stuhl. Dabei lächelte sie ihren Mann an. „Entweder ist er ein guter Schauspieler oder er war noch nie hier. Jedenfalls wusste er nicht, wo unsere Küche ist.“
„Na, das kann ja heiter werden. Ich weiß jetzt schon nicht mehr, wer die anderen sind. Und nun auch noch ein Nachzügler, von dem keiner weiß“, raunte Andreas Mann und goss Glühwein in eine Tasse.
„Aber ich glaube, ich weiß, wer sich hier dahinter verbirgt“, sagte Andrea lauter. „Den Duft habe ich doch schon mal irgendwo gerochen.“ Grinsend legte sie ihre Hände auf Christins Schultern, die erschrocken zusammenzuckte.
„Eigentlich habe ich dich schon direkt an der Haustür erkannt. So zielsicher, wie du die Schuhe in der Garderobe abgestellt hast und direkt in die Küche marschiert bist, das konnte nur eine sein. Aber ich dachte, ich lasse dich einfach noch ein bisschen schmoren. Du willst ja auch was von dem schönen Abend haben, oder?“
Seufzend zog Christin sich die Maske vom Kopf.
„Da habe ich mir solche Mühe gegeben und extra Klamotten von Freunden in Dresden geborgt, damit du mich ja nicht so schnell erkennst, und dann tappe ich gleich in die erste Falle und benehme mich, als wäre ich hier zuhause.“
Lachend umarmte sie Andrea.
„Tja, du bist eben Journalistin und keine Schauspielerin. Aber an deinem Parfüm hätte ich dich trotzdem erkannt. Nimm beim nächsten Mal am besten einen Männerduft. Apropos …“
Andrea hielt inne. Sie beugte sich leicht vor und war nun mit ihrem Gesicht genau vor Humboldts Maske. Christin hatte die Sehschlitze noch weiter zugenäht, sodass sein Sichtfeld stark eingeschränkt war.
Humboldt zuckte zusammen, als er plötzlich Andreas Gesicht vor sich sah. Er hielt den Atem an, um sich nicht weiter zu verraten. Am Parfüm würde ihn Andrea sicher nicht erkennen, dafür kannten sie sich zu wenig. Und an seinem normalen Körpergeruch sicher auch nicht, denn er fühlte sich, als hätte sein Körper literweise Flüssigkeit verloren, was den Mantel noch schwerer erschienen ließ.
„Wenn mich diese Augen nicht täuschen, gehören sie zu einem Dresdner Kommissar, oder?“, lachte Andrea.
Humboldt hielt eine Weile ihrem Blick stand. Alle im Raum warteten gespannt auf seine Reaktion. Endlich entspannte er sich und zog sich erleichtert die Haube vom Kopf.
„Danke, dass du mich gleich mit hast schmoren lassen“, sagte er grinsend und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann umarmte er Andrea herzlich.
Als er sich aus seinem Mantel geschält hatte und ein kaltes Bier vor ihm auf dem Tisch stand, schaute er Christin an. Das war wirklich ein witziger Brauch, von dem er bisher noch nie etwas gehört hatte. Nur die armen Schweine, die jetzt noch verkleidet abwarten mussten, taten ihm leid. Es waren nur noch drei Leute übrig. Zwei aus ihrer Gruppe, von denen Humboldt wusste, dass sie ein Paar waren, und die Gestalt, die als Letzte erschienen war.
Eben jene hatte die ganze Zeit über ordentlich zugeschlagen. Natürlich bei der Suppe, aber auch beim Glühwein. Und, was Humboldt die ganze Zeit über schon beobachtet hatte, immer wieder holte sich die Gestalt Häppchen von einem der Teller und schob sie unauffällig in ihre altmodische Tasche.
Mittlerweile war schon eine Stunde vergangen, seitdem der letzte Gast gekommen war. Noch immer rätselten Andrea und ihr Mann, wer die verbliebenen Gestalten sein könnten. Plötzlich erhob sich der letzte Gast, nickte kurz und machte sich auf den Weg Richtung Flur.
„Musst du aufs Klo?“, fragte Andrea. Sie stürzte hinter ihm her, um ihm den Weg zu zeigen. Aber der Gast zog in Ruhe seine Stiefel an und verließ das Haus ohne ein Wort.
Noch spät am Abend, als endlich alle mit leichter Kleidung bei kühlen Getränken saßen und die Gespräche immer fröhlicher wurden, rätselten sie, wer das wohl gewesen sein mochte.
„Mir hat letzte Woche schon einmal jemand erzählt, dass sie so einen Gast beim Lichtengehen hatten, der kam, aß und wieder ging“, sagte einer von Christins Freunden.
„Ist ja komisch. Wer soll denn davon wissen? Normalerweise meldet man sich doch einfach mit einer Postkarte bei den Gastgebern an. Das erfährt doch niemand, oder?“, fragte Christin.
„Nun aber genug mit der Grübelei. Jetzt wird gefeiert!“, lachte Andrea. Sie hob ihr Glas und alle taten es ihr gleich.

Wer Lust hat zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht und was es mit dem ominösen Nachzügler auf sich hat, der kann sich den Roman „Humboldt und der kalte See“ beim Oberlausitzer Verlag oder in allen Buchhandlungen als Taschenbuch oder in allen Buchshops online als eBook kaufen. Ich wünsche viel Spaß beim Schmökern!
Herzlich,
Jana Thiem

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