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Quarantäne

von | 13. April 2020

„Jetzt wollen die, dass wir die Hühner einsperren!“ Friedegard stellte die Kaffeekanne so hart auf den Küchentisch, dass Trude um die Unversehrtheit des Porzellanbodens fürchtete.

„Doch sicher wegen der Vogelgrippe“, sagte Trude, während sie argwöhnisch beobachtete, ob sich ein Kaffeefleck auf dem Tischtuch bildete. Doch das blieb blütenweiß und unbefleckt. Ganz anders als die Stimmung ihrer Nachbarin Friedegard. „Vogelgrippe!“, rief sie. „Wenn ich das schon höre. Neumodische Erfindung! Das hat es doch früher nicht gegeben.“

„In der Zeitung stand …“

„Ach, höre mir doch auf mit diesen Quatschblättern! Da stehen doch nichts als Lügen drin. – Erst soll es alles Bio sein und was weiß ich und dann kommen sie uns mit einem solchen Mist!“

Trude wünschte, sie wäre nicht vorzeitig zu ihren Nachbarn aufgebrochen, wo sie mit EllaMa und einigen anderen von den Landfrauen zum Kränzel geladen waren. EllaMa hatte aber noch unbedingt mit dem Bautzener Familienteil telefonieren wollen, um ihnen von den glücklichsten aller Neuigkeiten zu erzählen. Ein Ende war da nicht abzusehen. „Stell dir vor“, preschte Trude vor, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, „unsere Julia erwartet ein Baby!“

„Julia?“ Friedegard hielt nur einen Moment beim Kuchenschneiden inne. „Da drüben bei den Amis?“

„Ja, sie haben eine neue Wohnung in Boston bezogen und Paul…“

„Na, da sollen sie mal aufpassen, dass sie nicht auch eingesperrt werden. Von den Amis kommt doch sicherlich wieder dieser ganze Schei…“ Sie zügelte sich mit einiger Mühe. Dann schenkte sie Trude einen reumütigen Blick. „Aber das ist natürlich eine wunderbare Neuigkeit! Geht es allen gut?“

Trude nickte erleichtert und wollte eben zu einem längeren Bericht ansetzen, als Friedegards Schwester Meta die Küche erstürmte. Nach einer Hirnhautentzündung in ihrer Kindheit war Meta geistig eingeschränkt und kleinwüchsig geblieben, was ihrem gerechten Zorn jedoch keinen Abbruch tat. „Du hast die Hühner eingesperrt“, schrie sie ihre Schwester an. „Das ist Quälerei, weißt du das!“

„Beklage dich bei denen da oben. Ich habe mir das nicht ausgedacht.“

„Aber die Vogelgrippe ist wirklich gefährlich“, wagte Trude einzuflechten. „Man weiß noch nicht, ob sie auch auf Menschen übertragbar ist. – Ist doch nur vorrübergehend“, fügte sie besänftigend hinzu, „in ein paar Wochen picken eure Hühner wieder glücklich auf dem Hof.“

Meta stemmte ihre kurzen Arme in die Seiten. „Ein paar Wochen? Da sind die Hühner tot.“ Sie hatte Tränen in den Augen. In seltener Eintracht legte Friedegard einen Arm um ihre Schwester. „Gestorben vor Kummer!“

„Ich befreie sie!“ Mit einem Ruck machte sich Meta los und lief hinaus. Niemand hielt sie auf.

Friedegard mied Trudes Blick. Eine Weile saßen sie in unbehaglichem Schweigen, während sie auf die anderen ihrer Kränzelrunde warteten. Ein energisches Läuten schreckte sie auf. „Wer kann das sein?“

„Warum kommen die nicht einfach rein?“

„Ist etwas mit Meta?“

Vor der Tür zum Hof stand EllaMa mit alarmiertem Gesichtsausdruck, hinter ihr ein paar Kinder mit einem Bollerwagen. Darinnen lag ein Schwan. „Wir wollen zur Tierärztin“, riefen die Kinder aufgeregt. „Können Sie anrufen? Ihm geht es schlecht.“

„Schlecht? Der ist mausetot.“ EllaMa schüttelte tadelnd den Kopf. „Haben euch eure Eltern nicht gesagt, dass man keine toten Tiere anfassen soll?“

„Aber er hat noch gelebt.“

„Wir müssen Sonja informieren. Die ist Tierärztin und weiß, was zu tun ist.“ EllaMa wandte sich um. „Wir sollten auch die Eltern dieser Schwan-Retter anrufen. Nicht dass sie sich infiziert haben.“

Friedegard reagierte nicht. Kreidebleich starrte sie auf den leblosen Schwan. „Die Vogelgrippe.“ Abrupt drehte sie sich um und lief davon. „Meta! Sperr‘ die Hühner ein!“

 

Sylke Hörhold

www.sylke-hoerhold.de  

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