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„Kraniche im Ruderflug“ – 1. Teil

von | 6. Februar 2025

Erster Teil

Aus „Kraniche im Ruderflug“

Ich habe heute eine kleine Liebesgeschichte – einen ersten Teil – aus meinem Kurzgeschichtenband herausgesucht.
Der zweite Teil dazu – bedrückend ernst – erwartet euch in der zweiten Hälfte des Monats.

 

 

 

Eine Liebe in Kraków,  Prolog zu der Geschichte: »Die Kinderschuhe«

Darf ich dich ins Kino einladen?
Krzysztof sprach ein gutes Deutsch. Sie hatte mit Zettel und Kugelschreiber an der Pinnwand gelehnt, um die Wohnungsangebote für Studenten abzuschreiben.
Er hatte gelacht, als ihr Kugelschreiber plötzlich streikte, weil sie an der Wand schreibend, ihn zu schräg gehalten hatte.
Als er dann gegangen war, sah sie ihm nach. An der Treppe war er noch einmal umgekehrt, kam geradewegs auf sie zu.
Sie hatte sich schnell abgewandt, sich zu ihrer Laptoptasche gebückt, die zwischen den Knien klemmte.
Da hatte er die Frage mit dem Kino gestellt.

Sie erinnerte sich, dass sie nervös wie eine Achtzehnjährige beim Abiturball vor dem Kino stand und alle paar Minuten auf ihre Uhr geschaut hatte.
Sie hatte sich vorgestellt, wie sie mit Krzysztof im Dunkeln sitzt, sich von ihm küssen lässt, sie würden beide den Handlungsfaden des Films verpassen,
sie würde an seiner Schulter lehnen …
Jedoch er kam, als der Film schon lief.
Sie saßen in der dritten Reihe und schauten starr auf die Leinwand, als würde ihnen von dort die Zukunft vorausgesagt.
Später, in der Studentenkneipe „Zum Paulaner“, sah sie seine Augen in metallischem Blau leuchten, die Kerze auf dem Tisch flackerte.
Krzysztofs Finger spielten mit dem Stiel des Weinglases.
Er erzählte von seiner Familie. Von seinem Bruder, der zur Spargelernte und auf dem Gurkenflieger, in Deutschland arbeitet.
Sie sagte nichts. Sie hörte ihm einfach zu. Sie trank und spürte im Körper ein leichtes, wolkiges Flirren, als sich seine Hand über die Tischplatte tastete.
Krzysztof hatte den Master an der Universität abgeschlossen und eine Architektenstelle in seiner Heimatstadt Krakow bekommen.
Um in Krzysztofs Nähe zu sein, hatte sie sich für die Stelle in Oswiecim eingetragen –
eine neu eingerichtete Konservierungsabteilung warb in einer Fachzeitung um Praktikanten.

Vierzehn Tage hatte sie noch frei, richtete die erste gemeinsame Wohnung ein:
Sessel, Tisch, Kommode, versuchte durch die Anordnung der Möbelstücke, dem Raum die Beengtheit zu nehmen.
Sie nähte Vorhänge für die Fenster, kaufte Vasen, bestückte sie mit frischen Blumen.
Herzklopfen am Abend: Das Klicken im Schloss der Wohnungstür, die vertrauten Schritte, vertrautes Räuspern.
Er stand vor ihr, hielt in der Hand einen Blumenstrauß, lächelte.
Vor dem Einschlafen lag ihr Kopf zwischen Krzysztofs Armen. Kerzen flackerten und Blumenschatten tanzten an den Wänden.
Er las ihr vor – Erzählungen, polnische Prosa, die er beim Lesen geschickt ins Deutsche übersetzen konnte.
Manchmal versuchte sie, das Polnische zu lesen. Sie stolperte über Silben, als seien es Treppenstufen.
Zungenbrecher, sagte Krzystof, und stolperte ebenfalls: …tschi und dsche.
Sie lachten und ließen die Buchstaben durch die Luft wirbeln.
Als es von der Kirchturmuhr zehn schlug, legte er das Buch zur Seite, ging zum Fenster, um es zu schließen,
kroch unter ihre Bettdecke, so dass sein Kopf jetzt auf ihrer Brust ruhte.

In der Umhängetasche den Baedeker über Kraków, in der Hand den Stadtplan, so lief sie durch die Straßen.
Sie trug ihr rotes, knielanges Kleid, das hellbraune Haar weit nach oben am Kopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Touristen allerorts. Ein Sprachgewirr, das wie ein buntes Netz über der Stadt lag.

 

 

Sie besuchte das Czartoryski-Museum, saß lange Zeit vor Leonardo da Vincis Dame mit dem Hermelin.

 

 

 

In der Marienkirche stand sie beeindruckt im Chorraum vor dem spätgotischen Hochaltar des Bildhauers Veit Stoß.
Sie lief durch die Stadt, bis ihr die Füße wehtaten.
Sie saß am Weichselufer, schaute auf den Wawel, mit den Türmen von Schloss und Kathedrale, sie streifte ihre Sandalen ab,
rieb die Zehen gegeneinander und bemerkte, dass der Nagellack abblätterte.

Dann gab es Momente, da spürte sie, dass der nächste das Leben auf immer verändern wird …

Aus dem Erzählband Kraniche im Ruderflug, ISBN  9783741272844

 


www.christiane-schlenzig.de

Beitragsfotos: -kostenlos-pixabay

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