“Es stinkt zum Himmel”, schimpfte EllaMa. “Diese Kater belagern seit Tagen unser Haus.” Sie schlüpfte aus ihren Pantinen und stellte den Napf für das Kaninchenfutter auf den Beistellherd. Trude stand regungslos am Fenster. “Ich frage mich, warum du die Kleine nicht hast gleich sterilisieren lassen”, fuhr EllaMa ärgerlich fort. “Deine Katzenviecher liegen dir doch sonst so am Herzen.”
“Früher waren es einmal unsere Katzen”, sagte Trude, ohne ihren Blick zu wenden. Das gab EllaMa einen Stich. Sie trauerten noch um ihren Lieblingskater Raki, der letzten Herbst einer Nierenerkrankung erlegen war. Versöhnlich legte sie Trude ihre Hände auf die Schultern. “Ich meine ja nur, dass die Lotti so zart ist. Ein Kätzchen noch.”
Endlich drehte sich Trude zu ihr um. “Ich will, dass Lotti wenigsten einmal Mutter werden kann.” Eben wollte EllaMa erwidern, dass es das nicht wert sei, die Gesundheit der jungen Katze aufs Spiel zu setzen, als sie Tränen in den Augen ihrer Freundin schimmern sah. Ihre Kinderlosigkeit war eine nie verheilte Wunde in Trudes Herzen. Sie stellte sich neben Trude und umfasste sie fester an der Schulter. “Schau dir doch diese räudigen Spießgesellen an, die Lotti sich da angelacht hat. Wer weiß, was sie sich da alles einfängt bei ihren Liebespielen.” Endlich lächelte Trude. “Ein Haufen Kätzchen natürlich.” EllaMa seufzte. “Zu welchem Preis! Du hast gehört, was sie im Frauenkreis erzählt haben: da ist wieder so ein Irrer unterwegs, der Katzen mit dem Luftgewehr abschießt.”
“Was hat das denn damit zu tun?”
“Paul erzählte, dass ihm neulich die Katzen bei ihren Jagden beinahe unter die Räder gekommen wären, als er heimkam. Sie sind außer Rand und Band!”
“Du kannst das Leben nicht einsperren”, behauptete Trude.
“Doch wenn etwas passiert, dann bist du wieder …”
“Du kannst das Leben nicht einsperren!”
Etwas bewegte sich auf dem Hof, wo die bernsteinfarbene Lotti zwischen ihren Verehrern Hof hielt. Der graue Tiger machte einen Buckel und plusterte sich auf. Die zwei putzigen Schwarzweißen Kater, die schon einige Kampfspuren aufwiesen, zogen sich geduckt zurück. “Das ist ja ein Löwe”, entfuhr es EllaMa. Mit der Langsamkeit einer riesigen Raupe schob sich ein getigerter Maine Coon Kater auf die Trockenmauer am Rande des Hofes, wo er sich zu ganzer Majestät aufrichtete. Die anderen Kater suchten endgültig ihr Heil in der Flucht. Lotti sträubten sich die Rückenhaare. Auch sie war auf der Hut. Geduckt, zitternd, doch magisch angezogen von dem, was da auf ihrem Hof erschien, näherte sie sich Katzenpfote für Katzenpfote dem Neuankömmling. “Oh, Lotti!”, rief Trude aus. “Der ist doch viel zu groß für dich!”
“Was? Zu viel Leben auf einmal?” EllaMa knuffte Trude scherzhaft in die Seite. Sie brachen in Lachen aus.
Lotti positionierte derweil sich in respektvollem Abstand zu ihrem Gast. Sie rollte den Schwanz um ihren Körper und begann sich zu putzen. Der sanfte Riese kniff die Augen zusammen. “Na, siehst du”, sagte Trude erleichtert. “Jetzt weiß ich, was sich unsere Lotti einfängt bei ihrem Debüt: eine Glückskatze im Mai.”
“Die bleibt natürlich bei uns”, meinte EllaMa immer noch lachend. “Ich mache uns Kaffee.”
Sylke Hörhold