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Von Vertreibung, Flucht und Neuanfang – Eine Familiengeschichte

von | 21. April 2023

Tipp

Am Freitag, den 28.04.2023 lese ich, Sylvia Mönnich im Rahmen der Leipziger Buchmesse im Café Yellow des Kulturhauses auf der Steinstraße einige Episoden aus meinem Buch.

Menschen in Not. Rausgeschmissen mit dem, was sie auf dem Leib trugen und in ein paar Stunden zusammenpacken konnten. Eine Irrfahrt ins Ungewisse! Eine aktuelle, uns allen bewusste Situation wird so mancher denken. Aber die Geschichte zeigt uns, Vertreibung und Flucht waren ein Thema, dem sich die Menschen auch nach dem Zweiten Weltkrieg stellen mussten.

So in dieser Familiengeschichte recherchiert und zusammengetragen von Sylvia Mönnich. Ihre Mutter erlebte die Vertreibung aus Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg als Achtjährige, ausgewiesen aus dem ungarn-deutschen Dorf Felsönána mit vielen anderen deutschen Familien, die das gleiche, tragische Schicksal unverschuldet erlitten.

Des Vaters Geburtsstätte lag in der Nähe von Waldenburg, dem heutigen Walbrzych in Niederschlesien. Auch sein Schicksal war geprägt von Vertreibung und Neubeginn. Das Potsdamer Abkommen gab den Siegermächten nach Kriegsende das Recht, die seit dem 18. Jahrhundert in Ungarn oder Schlesien ansässigen Deutschen aus ihren Wirtschaften zu vertreiben und in die Grenzen des neuen Deutschlands zu verweisen. Für beide Familien ein einschneidendes Erlebnis und schmerzlicher Wendepunkt in ihrem Leben.

Sylvia Mönnichs Buch über den Lebensweg ihrer Vorfahren beginnt mit den Worten: „Raustreten! Sachen packen! Stiefel traten gegen die geschlossene Eingangstür, danach unverständliches Gebrüll.“ und macht uns neugierig. Wie kamen die Vorfahren ihrer Mutter überhaupt zu einer Bauernwirtschaft in Ungarn? Wie lebten sie in ihrer angestammten Heimat und warum wurden sie vertrieben? Warum brachte man Vaters Familie erst 1948 von Schlesien in das deutsche Schlema, Zentrum des Uranbergbaus? Welche Gefahren begegneten ihnen auf dem Track? Und was waren ihre Vorstellungen und Sehnsüchte an ihrem neuen Aufenthaltsort in Deutschland?

Sylvia Mönnich hat das Glück, dass ihre Eltern noch leben. Sie gruben tief in ihren Erinnerungen und überlieferten viele Begebenheiten und Episoden. Manches stammt aus den Erzählungen ihrer Großeltern oder anderer Zeitzeugen, denen sie heute gerne noch einmal zugehört hätte.

Aber fragen wir doch einmal die Autorin selbst, wie es dazu kam, dieses Buch zu schreiben.

“Vertrieben und dann?“ – Aus dem Leben meiner Eltern

Autorin Sylvia Mönnich

1. Was hat Sie veranlasst, eine Familienbiographie zu schreiben? Dass es ein äußerst spannendes und geschichtsträchtiges Thema ist, steht außer Frage.

Wie kam ich überhaupt zum Schreiben?

Ich weiß es noch genau, es war an einem Donnerstag im Juli 2020. Die Sonne signalisierte Urlaubsfeeling und das Thermometer kletterte auf 25 Grad. Den Berg Oybin kannte ich noch aus Kindheitstagen, er erschien mir heute als das ultimative Ziel. Der Zufall wollte es, dass mich mein Weg vom Parkplatz im Ort zum Aufstieg an der Hochzeitskirche durch den Oybiner Kurpark und über den Dammweg führte. Zwei Urlauber standen an einem Gartenzaun. Die Frau griff zum Prospekt in der kleinen Plastikbox am Eingangstor, legte es aber wieder hinein. Was wurde darauf angeboten?

Schreibkurse in der Schreibwerkstatt der Bestsellerautorin Martina Rellin

hier im malerisch gelegenen Kurort Oybin mitten im Zittauer Gebirge.

Ich war neugierig. Schreibkurse bei einer echten Schriftstellerin! Da musste ich hin. Gesagt, getan. Mit Herzklopfen rief ich bei ihr an. Noch im Juli habe ich mich für einen Schnupperkurs in Oybin angemeldet, der mir so gut gefiel, dass ich mich für eine Schreibwoche bei ihr im August 2020 eintrug. Mein Schreibprojekt sollte sich mit meinem zweiten Hobby – der Fotografie – verbinden. Ich hatte vor, meine Fotografien aus meinem Lieblingsurlaubsland Finnland mit den Geschichten dahinter zu vereinen.

Doch es kam anders. Als mir das Heft „Vertrieben“ von Monika Hahnspach, einer ehemaligen Kursteilnehmerin von Martina, in die Hände fiel, war mir klar, dass ich genau dieses Thema zum Gegenstand meines ersten Buches machen möchte. Wenn nicht jetzt, wann dann.

2. Wie verlief die Recherche zum Buch? Haben Sie die alte Heimat Ihrer Eltern selbst besucht?

Meine Großeltern haben nicht viel erzählt. In der DDR war das auch verboten. Die Begriffe Vertreibung oder Vertriebene durften nicht verwendet werden, man nannte sie Umsiedler oder Neubürger, als wären sie freiwillig nach Deutschland gekommen. Natürlich haben sie manchmal von früher berichtete, aber immer hinter vorgehaltener Hand. Sie haben das Unrecht verdrängt, so war es staatlicherseits gewollt und waren damit nicht alleine. Offizielle Vernetzungen von Vertriebenen, wie es die Vertriebenenorganisationen und Landsmannschaften in der BRD gab, wurden in der DDR nicht zugelassen. Wenn überhaupt boten die Kirchen eine Zufluchtsstätte für ihre Gedanken und das Heimweh.

Nach der politischen Wende wurde das anders. Die Vertriebenen, die sich im privaten Bereich immer verbunden hatten, durften über ihr Schicksal nun öffentlich berichten. Mein Großvater verstarb im Jahr 1983, meine Großmutter überlebte ihn zwanzig Jahre und erzählte manchmal. Heute bereue ich es, dass ich sie nicht genauer gefragt habe.

Mit meinen Eltern war ich vor der Wende öfter in Ungarn und wir haben ihren Heimatort Felsönána besucht, auch die Kirche, in der sie getauft wurde. Selbst für mich und meine Familie war Ungarn mit seiner „Badewanne“, dem Balaton oft ein beliebtes Urlaubsziel.

Gerne wäre ich für meine Recherchen noch einmal an die Orte zurückgekehrt, über die ich geschrieben habe, aber das Reisen in den Coronajahren erschwerte meinen Plan. Mein Mann und ich haben uns für diesen Sommer vorgenommen, dies nachzuholen und neben Felsönána das ungarn-deutsche Museum in Gyönk zu besuchen, im dem auch eine bunt bemalte Truhe meiner Großmutter ausgestellt ist.

Meine Eltern leben noch. Ich habe sie ganz viel gefragt und aufgeschrieben, was sie mir erzählt haben. Doch darf man nicht vergessen, dass sie Kinder waren und manches sich in der Erinnerung auch verklärt haben kann.

Auch andere Ungarnvertriebene haben mir Material zur Verfügung gestellt, das ich eingearbeitet habe.

3. Ab wann begannen sich Ihre Eltern in ihrer neuen Heimat wohlzufühlen?

Als sie sich im August 1951 in Schlema kennen lernten, war meine Mutter vierzehn und mein Vater sechzehn Jahre alt. Die Familie meines Vaters zog in die Wohnung neben der meiner Mutter. Beide waren Vertriebenenkinder und fühlten sich sofort miteinander verbunden. Meine Mutter lernte den Beruf einer Schneiderin, mein Vater wurde Dreher. Als meine Großeltern 1955 von Schlema nach Zittau zogen, wo viele der ungarn-deutschen Vertriebenen wohnten, musste meine Mutter musste mit. Mit meinen Vater war sie bereits verlobt. Natürlich zog er hinterher. 1956 gaben sie sich da Ja-Wort. Sie sind jetzt 67 Jahre verheiratet.

4. Welche Verbindungen gab es später in die alte Heimat? Oder wurden alle Brücken komplett abgebrochen?

Meine Großeltern haben ihr Zuhause nie wieder gesehen. Sie wollten nicht mehr an den Ort zurück, an dem ihre Vorfahren ihr ganzes Leben verbracht haben und der ihnen gestohlen wurde, ohne dass sie eine Schuld auf sich geladen haben.

Meine Mutter hat sich gefreut, dass sie ihre Heimat aus Kindertagen noch einmal besucht hat. Sie konnte sich mit den jetzigen Besitzern sogar in ihrer Landessprache ungarisch unterhalten.

5. Wie erging es den neuen Besitzern, welche den Hof der Eltern übernehmen mussten? Ihre Großeltern hatten ja noch ein gutes Verhältnis aufgebaut.

Was aus der damaligen Besitzerin wurde, weiß meine Mutti nicht. Später haben Ungarn das Haus übernommen, die ihnen auch den Hof noch einmal gezeigt haben und Verständnis für ihr Interesse hatten.

6. Was sagt Ihre Familie zu Ihren Recherchen? Für den ein oder anderen sind doch bestimmt neue Erkenntnisse und Aha-Effekte entstanden?

Die Familie findet es toll. Bis jetzt gab es nur positives Echo. Für sie habe ich ja auch dieses Buch geschrieben. Ich wünsche mir, dass die Geschichte meiner Familie und der vielen anderen, die dieses Schicksal teilten, nicht vergessen wird. Oft sind diejenigen, von denen ich berichte, nicht mehr am Leben oder weit in den Achtzigern. Aber ihre Kinder und Enkelkinder, oft gibt es schon Urenkel, sollen erfahren, wie ihre Vorfahren gelebt haben.

7. Wollen Sie das Buch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und wo kann es erworben werden?

Ich habe nicht geahnt, dass dieses Buch so viele Menschen interessiert. Bis jetzt kann man es nur über mich erwerben.

Man kann das Buch im festen Umschlag mit Lesebändchen und Fotografien aus längst vergangenen Zeiten für 28,00 € kaufen. Das ist natürlich ein besonderer Lesegenuss.

Doch diejenigen, die nicht so viel Geld ausgeben wollen, können es auch als Taschenbuch für 13,50 € erhalten.

Meine E-Mai-Anschrift lautet: .

Sie erreichen mich telefonisch unter 03593230551 oder mobil 01605312393

Auszug aus „Vertrieben und dann?“

Raustreten! Sachen nehmen!

 

Stiefel traten gegen die geschlossene Eingangstür, danach unver­ständliches Gebrüll.

„Raustreten! Sachen nehmen! Das, was ihr tragen könnt!“, schrie die Stimme in barschem Ton. „Ihr habt zwei Stunden Zeit!“

Entsetzen!

Es war der 25. August 1947. Elisabeth erinnert sich daran, als wäre es gestern gewesen. Nie wieder hatte sie so viel Angst, wie damals als Kind, auch wenn seitdem über sieben Jahrzehnte ver­gangen waren.

Elisabeth – früher Lieschen oder Liesbeth genannt – denkt an eine sonnige Kindheit zurück. Bis zum Kriegsende im Jahre 1945 wuselte die damals Achtjährige unbeschwert zwischen den Beinen ihrer Mutter, noch viel lieber ihrer Großmutter herum. Der Bauern­hof, auf dem sie aufwuchs, war ihr Paradies. Stundenlang schaute sie den Hühnern zu, wie sie die dicken, großen Maiskörner pick­ten. Sie drückte ihre Puppe an sich, die ihr Patenonkel Janós geschenkt hatte. Der Kopf war mit Lappen umwickelt und mit Stroh ausgestopft, den Puppenkörper hatte ihre Tante aus eingefärbter Wolle gehäkelt und ihr große schwarze Augen aufgestickt. Es war Lieschens erste Puppe und sie liebte sie abgöttisch. Ihr sieben Jahre älterer Bruder Friedrich half schon tüchtig in der Bauernwirtschaft, er hätte sie eines Tages übernehmen sollen. Es kam anders.

 

Wer melkt die Kühe?

 

Der Bauernhof der Familie Schmidt gehörte fortan einer alleinstehenden Ungarin mit zwei kleinen Kindern, die aus der Kleinstadt Békéscsaba im Südosten Ungarns zwangsumgesiedelt wurde. Das Nebeneinanderleben mehrerer Nationen an der rumänischen Grenze und die Umorganisation der Staatsgrenzen mit dem groß angelegten Bevölkerungsaustausch nach dem Zweiten Weltkrieg bedrohte auch die Existenz der Städterin. Dass die Regierung ihr einen Bauernhof zuwies, der bis dahin einer fremden, ungarn-deutschen Großfamilie gehörte, überstieg ihre Vorstellungskraft. Aus Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder übernahm sie die ihr zugeteilte Wirtschaft und starrte verzweifelt auf Schweine, Kühe und Gänse.

Die ungarn-deutsche Familie Schmidt wurde im Jahr des Kriegsendes noch nicht vertrieben, sondern zunächst ihres Besitzes beraubt. Sie hauste mit der Neueigentümerin auf dem Gelände und musste mit ansehen, wie die Neue ihren seit Generationen in Familienhand geführten Bauernhof ohne Sinn und Verstand runterwirtschaftete.

„Friedrich, hast du gesehen, was sie unseren Schweinen füttert? Bekommen die denn überhaupt Futter? Ich höre sie so laut quieken!“, flüsterte seine betagte Mutter Katharina.

„Das sind nicht mehr unsere Schweine. Und ich höre nur Gebrüll aus dem Nachbarhof.“, brummte er viel zu barsch.

„Das hat uns der Herr im Himmel angetan.“, hauchte sie kaum vernehmbar und wagte nicht, den Blick zu heben.

Lieschens Vater Friedrich lehnte sich an das Fenster und lugte durch die Spalten der geschlossenen Fensterläden. Staubkörnchen flirrten im Licht der untergehenden Sonne. Mit der Hand strich er sich durch sein schütteres Haar. Was er erspähte, bereitete auch ihm Kopfschmerzen. Seine Mutter hatte recht, trotzdem wollte er es ihr gegenüber nicht zugeben. Schlief sie vor Sorge auch so schon keine Nacht.

Die Tür zum Schweinestall quietschte erbärmlich und holte ihn aus seinen Gedanken. Die Neubäuerin hatte sich eine viel zu große Schürze umgebunden und lief barfuß mit einer von seinen Emailleschüsseln in den Händen über den staubtrockenen Platz. Den Schweinen warf sie tatsächlich vor, was vom Essen übrigblieb und das war nicht viel. Wovon sollten sie fett werden bis zum Schlachten? Schweineschlachten diente dem Überleben der Menschen im Winter. Ob sie das wusste? Seine Gedanken kreisten um die ungewisse Zukunft seiner Familie und vor allem darum, wie er die Alten und die Kinder vor dem Hungern bewahren konnte.

Sein Blick wanderte zum Federvieh. Die hauseigenen Gänse saugten nach jedem Regenguss das Wasser aus den Pfützen oder trollten sich zum Tümpel an der Grundstücksgrenze. Auf dem angrenzenden Feld fraßen sie alles, was ihnen unter den Schnabel kam. Sie ernährten sich von Pflanzen, Samen oder Früchten, manchmal sogar von Würmern oder Schnecken.

Doch die Kühe standen mit prall gefüllten Eutern im Stall und mussten gemolken werden. Er sah die Neubäuerin verzweifelt auf dem hölzernen Melkschemel hocken, weil nicht ein einziger Tropfen Milch in die Kanne floss. Das Brüllen der Milchkühe konnte sich Elisabeths Vater nicht länger mehr mit anhören.

Friedrich trat aus der Tür und atmete einen Schwall heißer Sommerluft ein.

„Geht weg, so wird das nichts! Lasst mich ran.“

In Ungarn sagte man nicht du zueinander oder sie. Man redete sich immer in der dritten Person an.

„Na, geht schon. Ich zeige es euch.“, herrschte er die ungeschickt hantierende Zugezogene an. Ungläubig fixierte sie ihn und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Wollte der Mann in den zerschlissenen Sachen ihr wirklich helfen? Unbeholfen stand sie auf. Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Die Kuh schlägt mit dem Huf nach mir.“, schluchzte sie und überließ ihm den Melkschemel.

Friedrich konnte nicht anders. Unter seiner Anleitung lernte sie in den darauffolgenden Monaten vieles, was auf dem Bauernhof zu tun war, so auch das Melken. Dafür teilte sie mit den Ungarn-Deutschen das, was sie nun gemeinsam erwirtschafteten. Wäre nicht der 25. August 1947 gekommen, hätten sie vielleicht eine Schicksalsgemeinschaft bilden können. Es sollte nicht sein.

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