Die Ausbildung (Teil 2, ein Auszug)
Meine Frau wollte mich vom Bahnhof abholen. Sie war sicherlich auch sehr enttäuscht darüber, dass ich nicht aus dem Zug stieg. Dann war auch noch diese Unsicherheit. Ich hatte ihr schon geschrieben, wenn ich zu Hause ankomme, aber wenn du dann nicht aus dem Zug steigst, stellt man sich doch einfach die Frage, ob etwas dazwischengekommen ist oder was könnte sonst noch alles passiert sein. Da Sie auch wusste, dass in den nächsten Stunden kein Zug mehr ankommt ging sie wieder allein nach Hause.
Von unserer Kompanie waren noch fünf Soldaten, die in diese Richtung wollten. Als wir uns am Taxistand umsahen und uns ein paar Alternativen überlegten, passierte ein Wunder, es kam tatsächlich noch ein Taxi vorbeigefahren.
Da war erst einmal wieder Freude und Hoffnung, doch dann war schon wieder das nächste Problem. Er konnte und wollte nur vier Mann mitnehmen. Nach dem wir alle unsere Zielorte angesagt hatten und der Fahrer uns entschlossen mitteilte, dass Einer warten muss standen wir alle wie versteinert da. Keiner wollte diese Person sein, der warten muss aber keiner wollte auch nicht als Erster einsteigen. Der Taxifahrer spürte unsere Unentschlossenheit und beschloss dann doch, „Na gut dann nehme ich euch alle mit“. „Da müsst ihr euch eben hinten reinpressen. Polizei wird ja hoffentlich keine kommen“.
Somit schaffte ich es endlich gegen 0.45 Uhr zu Hause zu sein. Das erste Mal als Grenzer. Die Freude war riesig wenn auch etwas später als erwartet.
Samstagmorgen schaute mich meine kleine Tochter ganz komisch an, denn wir hatten uns lange nicht gesehen und wir mussten ihr erst einmal erklären, dass ich ihr Papa war.
Sie hatte mich jedenfalls nicht erkannt. Am zweiten Morgen kam die kleine Maus in unser Schlafzimmer und hatte von ihrem Opa eine Trillerpfeife bekommen. Sie stellte sich neben unser Bett und pfiff, genau wie ihr aufgetragen wurde, einmal kurz hinein. Völlig erschrocken zuckte sie zusammen und begann fast zu weinen, denn ich reagierte so, wie es mir in der letzten Zeit beigebracht wurde. Ich sprang ganz schnell aus dem Bett und stand ebenso erstaunt vor ihr. Erst jetzt begriff ich, dass ich doch noch zu Hause war. Mein Schwiegervater freute sich diebisch über den gelungenen Streich.
Auch wir lachten dann alle darüber, nahmen die Kleine mit zu uns ins Bett und kuschelten noch eine Weile, nach dem wir uns von dem Schreck erholt hatten. Die Zeit zu Hause verging viel zu schnell und bereits Montagnachmittag gegen 16.30 Uhr musste ich bereits wieder losfahren um am Dienstag gegen 6.00 Uhr in Halberstadt zu sein.
Dreimal umsteigen, dazwischen lange Wartezeiten auf den nächsten Zug. Am längsten dauerte es in Leipzig, hier fragte uns sogar ein Kellner von der Bahnhofsgaststätte, ob wir ein Bier für ihn hätten. Es gab hier in der Nacht keine alkoholischen Getränke. Einfach lächerlich. Bei den nächsten Rückfahrten hatten wir immer genug Bier dabei, um die langen Wartezeiten zu überstehen. Das alles sind die Sachen, die einen Grenzer wie mich, in dieser Zeit sehr beschäftigt hatten.
Schon die nächste Situation war typisch und für mich wieder unerklärlich. Denn mehrere Tage nach meinem ersten Urlaub, bekam ich die Nachricht, dass es dem Großvater meiner Frau gesundheitlich schlechter ging. Er lag im Sterben. Sein Wunsch war es noch, sein Haus an seine Enkeltochter zu überschreiben. Der Notar meinte, es muss ein Kaufvertrag aufgesetzt und unterschrieben werden. Da wir verheiratet waren, bestand er darauf, dass auch ich den Vertrag unterschreiben sollte. Dazu hätte ich unbedingt kurzfristig nach Hause kommen müssen. Aber es war trotz all meiner Bemühungen nicht möglich einen Sonderurlaub zu erhalten. Ich war sicherlich zu wichtig für die Grenztruppen. Oder war es wegen der militärischen Stärke in der Ausbildungskompanie?
Was war es dieses Mal, das so wichtig war, mich nicht für zwei Tage nach Hause fahren zu lassen? Mein Zorn auf dieses System und die Leute die uns hier hin und her schubsten wurde jedenfalls nicht geringer. Ein paar Tage später bekam ich die traurige Nachricht, dass ihr Opa gestorben ist. Aus diesem Grund, bat ich nun um einen Termin beim Kompaniechef, bei dem ich mich über dessen Entscheidung bedanken wollte. Ich wurde sogar empfangen, dabei legte ich ihm den Brief mit der markierten Textstelle auf den Tisch. Nach dem er fertig mit dem Lesen war, bedankte ich mich ironisch und bat militärisch korrekt wieder wegtreten zu dürfen. Völlig überraschend fragte er mich, ob ich wüsste wann die Beerdigung ist. Als ich es verneinte, gab er mir zu verstehen, dass ich zur Beerdigung ein Kurzurlaub genehmigt bekomme. Ich war verwirrt. War die Kompaniestärke nun nicht mehr wichtig? Außerdem sollten wir während der Wehrdienstzeit jeglichen Kontakt zu Personen aus dem westlichen Ausland vermeiden. Wir durften nur mit Ausnahmegenehmigung mit den Interzügen fahren und jetzt sollte ich Kurzurlaub bekommen, obwohl ich mir sicher war, auch der KC wusste Bescheid, dass zu dieser Beerdigung auch die Verwandtschaft aus dem „Westen“ dabei sein würde. Wieder viele Fragen und keine vernünftige Erklärung für diese Situation. Doch letztlich war es mir egal, Hauptsache weg von diesen Idioten und wenn es auch nur für ein paar Stunden war. Wieder eine kurze Zeit, an denen ich keine unbegreiflichen und unsinnigen Befehle auszuführen musste. Oder ist etwa Rasen mähen mit den Feldspaten normal? Das ist nur eine von den irren Tätigkeiten die mir gerade eingefallen ist.
Somit fuhr ich ein weiteres Mal nach Hause. Bis ich eines Morgens wieder hoch motiviert zum Dienst antrat. Ab da ließ ich mich weiter zum Grenzer ausbilden.
In der Woche danach hatte unsere gesamte Kompanie Wache. Unsere Gruppe fuhr mit dem W 50 nach Magdeburg, um dort ein militärisches Objekt, in dem zivile Angestellte Teile für die Grenzanlagen herstellten, zu bewachen. Wir waren schon einmal hier für eine ganze Woche eingeteilt und ich empfand es als eine Art Auszeichnung an dieser Stelle Wache zu schieben. Es war besser hier in Magdeburg zu sein, als den Munitionsbunker in Halberstadt in der Knochenmühle zu bewachen.
Dort stehst du in praller Sonne oder auch bei schlechtem Wetter in einem eingezäunten Abschnitt und kannst von allen Seiten gesehen werden. Du kommst dir vor, wie in einem Hundezwinger oder wie ein Tier im Zoo. In der Mitte befand sich der Munitionsbunker, dann zwei hohe Metallzäune in deren Mitte sich die Wachen um den Bunker herumbewegen mussten. Lange auf der Stelle stehen war auch nicht erwünscht. Denn von überall konnte man die Wachen beobachten. Und irgendeinen schlechtgelaunten Vorgesetzten gab es immer. Da war der nächste Anschiss gewiss. Hier in Magdeburg Rothensee war es dagegen der reinste Urlaub. Wir und eine zweite Gruppe schoben hier abwechselnd 24 Stunden Wache mit Bereitschaft und Ruhezeit.
Danach hatten wir 24 Stunden frei. Frei ist dabei allerdings relativ, denn ein paar Aufgaben warteten immer auf uns und daher durfte ich meinem Beruf entsprechend in der „freien Zeit“, eine Tür zumauern und von beiden Seiten verputzen. Dazu bekam ich einen anderen Soldaten als Handlanger zur Seite und die Zeit bis zur Fertigstellung war sehr großzügig geregelt. Unser Unteroffizier und Gruppenführer hatte zum Glück vom Maurerhandwerk keine Ahnung. Dadurch kam auch keine Kritik bei seinen Inspektionsbesuchen. Die zivilen Angestellten versorgten uns dabei mit dem nötigen Material und brachten uns auf unseren Wunsch hin, auch 32 prozentiges „Anmachwasser“ mit. Ob Korn, Wodka oder Weinbrand auf der Flasche stand, war uns egal.
In dieser Woche hatte sich auch der Kulturstab der Nationalen Volksarmee hier eingerichtet und dadurch war erhöhte Gefechtsbereitschaft angesagt. Noch ein Grund mehr, uns mit Anmachwasser zu motivieren. Der Warschauer Pakt führte ein Manöver in dieser Region durch. In diesem Objekt tagten darum auch die Gesandten der anderen befreundeten Staaten. Der Kulturstab bestand aber nicht nur aus Offizieren der verschiedenen Armeen. Nein, die Herren wurden von ihren Frauen, oder Töchtern oder Sekretärinnen betreut. Beim Anblick der Begleiterinnen wurde ich schon etwas neidisch.
Jeden Abend fanden hier intensive kulturelle Gespräche statt. Wir durften am nächsten Morgen die Überreste dieser Veranstaltungen beseitigen.
Das heißt die Aschenbecher entleeren, Tische abwischen, Boden reinigen und die Flaschen entsorgen. Wir hofften immer vergeblich, dass mal eine Flasche vergessen wurde zu leeren. In dieser Sache waren sie ohne Frage sehr gründlich.
Ich hatte Wachdienst am Eingangstor, als der rumänische Abgesandte eintraf. Der Fahrer zeigte mir das notwendige Papier und ich öffnete das Tor. Nachdem er ins Objekt hinein gefahren war schloss ich das Tor wieder. Dabei schaute ich dem Fahrzeug hinterher, bis es vor dem Tagungsgebäude anhielt. Das Tagungsgebäude war nur etwa 30 m vom Tor entfernt. Der Offizier der Ausstieg war ein kleiner südländischer Typ. Ein Rumäne halt. Seine Begleitperson – eine Professionelle? Ich weiß es nicht. Sie war einen Kopf größer als er, bildhübsch und ………
Noch in derselben Woche bekamen wir nachts am Eingangstor Besuch von einem jungen Burschen welcher von einer Hochzeit kam. Ich stand wiedermal am Tor Wache. Der junge Mann war keinesfalls besoffen. Er kam zu mir und dabei vermutete unser Gruppenführer sofort, dass es sich um einen Überfall
mit Ablenkungsmanöver handelt. „Schick ihn weg, schick ihn weg“, versuchte er mir wild gestikulierend klarzumachen. Ich war mir sicher, dass er schon wieder die Hosen voll hatte, denn er hatte mehr Angst als Vaterlandsliebe.
Der junge Bursche schien mir nicht gefährlich zu sein, er war nur angeheitert und dabei sehr redselig. Als er an mich herantrat öffnete er seinen Beutel und zeigte mir den Inhalt, als ob er mir beweisen wollte, dass er nichts Gefährliches darin hatte. Im Beutel befanden sich eine halbe Fruchttorte und noch 3 Flaschen Bier. Wir unterhielten uns, wobei er mir mitteilte, dass er auch schon kurz vor der Einberufung stand und wollte von mir nur wissen, wie es so bei der „Fahne“ ist. Unser Gruppenführer wedelte immer wieder mit den Armen, aber ich beachtete ihn einfach nicht. Auch dem jungen Kerl viel auf, dass der Unteroffizier irgendetwas übermitteln wollte und fragte daher, „Hat der ein Problem mit mir?“ Aber ich winkte nur ab. Ich hatte mich ganz gut und lange mit ihm unterhalten. Dabei mäkelte ich auch ein wenig über das Essen herum und klagte darüber, was man hier alles serviert bekommt. Daraufhin hat er dann ganz spontan die halbe Torte dagelassen. Das Bier wollte ich ihm noch abkaufen. „Das kommt gar nicht in Frage“ sagte er und hat es mir auch noch geschenkt. Da unser Gruppenführer uns ständig beobachtete, konnte ich das Bier nicht sofort annehmen. Er legte es dann um die Ecke hinter der Mauer ab. So sind meine zwei Stunden auf Wache wie im Flug vergangen und der Bursche ist nach Hause gegangen. Das Bier holte ich etwas später und teilte es mit den anderen Jungs, die gerade munter waren. Vor lauter Angst hatte der Unteroffizier vergessen mich abzulösen. Eigentlich braucht man ja immer nur eine Stunde auf Wache stehen, doch mir und den meisten anderen Soldaten war es egal wie lange man am Tor stand. Seine Torte hat uns dann sehr gut geschmeckt.
Die Versorgung war hier in Magdeburg allerdings viel besser als in Halberstadt und das nicht wegen der halben Torte und den Bieren. Nein, es war ja hier ausgebildetes ziviles Küchenpersonal und wir Soldaten wurden besonders gut von den Frauen versorgt.
In unserer freien Zeit sind wir hier auch Tischtennis spielen gegangen und dabei hat niemand auf die Bettruhe geachtet. Einmal kam der Gruppenführer nachschauen und fragte nur: „Wollt ihr noch lange spielen?“
Aber ohne die Antwort abzuwarten ist er wieder gegangen. Nicht alles war also schlecht während der 6 Monate Grenzausbildung. Die Wache hier war viel leichter, als der eigentliche Dienst an der Grenze. Aber der sollte ja erst noch kommen und dazu auch noch das strenge Klima am Brocken. Es war etwas Abwechslung in dem alltäglichen Grau der Grenzausbildung. So verging wieder eine der besseren Wochen im Vergleich zu den sich ewig anfühlenden Zeiten der unterschiedlichsten Ausbildungswochen. Am langweiligsten war mit Abstand die Politausbildung.
Uns wurde auch trotz alltäglicher Dienstausgabe nie vorher erklärt, was man mit uns vorhatte. Da wurde plötzlich die Politausbildung einfach unterbrochen, dann durften alle antreten und es ging geschlossen zu einer medizinischen Untersuchung. Wir erhielten alle eine Hand voll Pillen und keiner von uns wusste wofür oder wogegen diese Tabletten waren. Geschluckt habe ich die Tabletten jedoch nicht. Wenn ich nicht weiß wofür und wogegen die Pillen sind, nehme ich sie auch nicht ein. Ich habe sie in der Hand behalten und später einfach weggeworfen. Denn auch die Frage an die medizinischen“ Assistenten“ brachte uns keine Klärung über die Tabletten.
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