Mit dem nachfolgenden Textauszug möchte ich Sie neugierig auf „Das Märchen vom kleinen Jetzt“ machen.
Egal, wie die Zeit rennt, wir können sie nicht anhalten, verlangsamen oder beschleunigen.
Was wir können ist, manchmal ein bisschen genauer hinhören, wenn jemand leise an unserem Ohr „Jetzt!“ wispert.
Das Märchen vom kleinen Jetzt
Das kleine Jetzt hatte viel zu tun. Unermüdlich erinnerte es die Menschen daran, sich auf das zu besinnen, was gerade geschah – um sie herum und in ihnen drin, nicht gestern oder morgen, nicht vorhin oder bald, sondern genau jetzt.
Gerade weil es den Menschen so schwer fiel, das kleine Jetzt zu bemerken, nahm es seine Aufgabe ernst. Es stupste den einen an, rüttelte am anderen und versuchte, aufmerksam zu machen: auf die schönen Augenblicke, auf die großen Momente, genauso auf das Alltägliche und auch auf das Schwere. All das gehörte hinein in ein Menschenleben. So jedenfalls wurde es gelehrt, hoch oben im Palast der Ewigkeit. Von dort sauste das kleine Jetzt hinab, um die Menschen zu besuchen und dahin kehrte es zurück, wenn sie sich zur Ruhe legten. Dann wandelte es durch den Palast, der mit großen und kleinen Zeiträumen gefüllt war.
Am liebsten beobachtete das kleine Jetzt die Zeitgeister bei ihrer Arbeit. Pausenlos reihten sie Sekunden aneinander und fädelten sie auf eine Lebensschnur, genau wie Perlen auf eine Kette. Jeder Mensch bekam eine davon.
Eines Abends kehrte das kleine Jetzt von der Erde zurück in den Palast der Ewigkeit und konnte seinen Unmut nicht verbergen.
„Von früh bis spät habe ich versucht, die Menschen aufmerksam zu machen. Aufmerksam auf das, was gerade geschieht. Ich habe mich auf ihre Schultern gesetzt und ihnen ins Ohr geflüstert: ‚Jetzt-jetzt-jetzt!‘ Aber sie wollten mich nicht hören. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sie verpassen einen Teil ihres Lebens und merken es nicht einmal.“
Das kleine Jetzt seufzte und verkündete: „Ich habe keine Lust mehr, mich darum zu kümmern. Sollen sie sich doch verlieren in dem, was war oder in dem, was kommt. Wenn sie mich nicht beachten, gehe ich einfach nicht mehr hinunter auf die Erde.“
Die Zeitgeister waren entsetzt. „Was soll dann aus unserer Arbeit werden? Jede Sekunde ist eine kostbare Perle auf der Lebensschnur eines Menschen. Niemand kennt ihren Wert so gut wie du und keiner außer dir kann das den Menschen zeigen.“
Das kleine Jetzt hob resigniert die Schultern.
„Ich wollte es ja zeigen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich alles probiert habe. Aber nichts funktioniert mehr. Die meisten haben mich überhaupt nicht wahrgenommen.“
Die Zeitgeister hörten zu und machten betroffene Gesichter.
„Dann können wir ja statt der bunt schillernden Sekundenperlen auch farblose Murmeln auffädeln oder auf der Schnur große Lücken lassen“, brummte ein Zeitgeist.
„Oder einen Knoten nach dem anderen machen“, schlug der zweite verärgert vor.
„Wofür tun wir das hier eigentlich?“, beschwerte sich ein nächster.
Andere jedoch forderten: „Das kleine Jetzt ist wichtig. Es darf nicht aufgeben, sich bemerkbar zu machen! Dann hat unsere Arbeit wieder einen Sinn.“
Tagelang überlegte das kleine Jetzt, an wen es sich mit seinem Kummer wenden und wo es Hilfe finden könne. Die Zeitgeister hatten zwar verständnisvoll zugehört, doch sie waren zu beschäftigt, um sich mit diesen Sorgen zu befassen. Schließlich waren unzählige Sekunden zu hüten, zu sortieren und in der richtige Folge aufzureihen. Das kleine Jetzt wusste, dass jede Ablenkung Fehler nach sich ziehen konnte und das würde fatale Folgen für ein Menschenleben haben. Es grübelte weiter und kam sich schließlich ganz verlassen vor. Keine Idee, kein guter Rat war in Sicht. Niedergeschlagen schaute das kleine Jetzt zur Erde hinab. Die Menschen kamen scheinbar alleine zurecht.
Doch was war das? Ein dunkler Schleier zog über die Erde. Nur vereinzelt drangen helle Punkte durch das traurige Grau. Das kleine Jetzt wunderte sich und hielt einen Zeitgeist auf, der gerade mit einem Arm voll neuer Sekunden vorbeieilte.
„Warte!“, rief es. „Weißt du, was da unten los ist?“
Der Zeitgeist warf einen kurzen Blick hinunter und zuckte mit den Schultern.
„Scheinbar ist die graue Unzufriedenheit auf dem Vormarsch. Neulich waren nur ein paar Flecken zu sehen. Es ist unglaublich, wie schnell sie sich ausbreitet.“ Der Zeitgeist raffte die Sekunden zusammen, die ihm aus den Armen rutschten und rief im Weiterlaufen: „Dir wird nichts anderes übrig bleiben. Du musst wieder hinunter. Sonst nimmt es ein schlimmes Ende.“ Schon war er im nächsten Zeitraum verschwunden.
Das kleine Jetzt stöhnte. „Wenn sie einfach nicht auf mich hören …“ Es kam sich nutzlos vor, und das geschäftige Treiben ringsum machte es nicht besser.
„Da sind die Zeitgeister pausenlos am Werk und keiner will ihre Arbeit achten. Dabei ist jede Sekundenperle einzigartig. Es nutzt nichts, ich mach mich noch einmal auf den Weg.“
Das kleine Jetzt sammelte seine besten Vorsätze, nahm allen Mut zusammen und besuchte die Menschen erneut. Bald landete es an einer Stelle, an der besonders viele und große Häuser beieinander standen. Hier lebten unzählige Menschen auf engem Raum. Es musste doch gelingen, zu einigen durchzudringen. Wäre da nicht dieser Lärm gewesen. Das kleine Jetzt setzte sich einem nach dem anderen auf die Schulter und rief in unzählige Ohren: „Jetzt-jetzt-jetzt!“, immer in der Hoffnung, dass jemand aufmerksam werden und sich auf den Moment besinnen würde. Doch das Rufen ging in der Vielzahl der Geräusche unter. Ab und zu schien es, als ob ein Mensch kurz aufhorchen würde. Wenn ihm dann das kleine Jetzt einen Sonnenstrahl vor die Augen zog und den Wert eines Augenblicks zeigen wollte, hörte es nur: „Weißt du, was letzte Woche wieder los war?“ oder „Früher … ich kann das einfach nicht vergessen.“ oder „Warum musste mir das damals passieren?“
„Sind die alle von gestern?“, stöhnte es und spornte sich im Weiterlaufen an. „Ich lasse mich nicht abwimmeln.“ Aber die nächsten, die es traf, schienen auf etwas zu warten und sich nur mit künftigen Dingen zu beschäftigen. Sie trugen Kalender mit sich herum und das kleine Jetzt hörte schnell ihre Lieblingsworte heraus: „Wenn …“ und „,dann …“.
„Hallo!“, rief es einem zu, der ungeduldig auf die Uhr schaute. „Du verpasst gerade dein Leben!“ Doch außer einem verständnislosen Blick kam keine Reaktion. „Wann wird der Zeitpunkt da sein, den du herbeisehnst? Morgen, nächstes Jahr oder irgendwann?“
Aus: Eva Mutscher, Das Märchen vom kleinen Jetzt
© 2023 Verlag am Eschbach, Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern
ISBN-10 : 3869179112 ISBN-13 : 978-3869179117
Es scheint, als eilt das Jahr regelrecht auf seine Mitte zu.
Gönnen wir uns ruhig zwischendurch kleine Pausen.
Manchmal reicht schon ein Durchatmen und ein Blick zum Himmel.
Idealerweise ausgestreckt im Liegestuhl oder noch besser – auf einer Wiese, wie im folgenden Gedicht.
Wolkenträume
Wer hat wohl, nur so zur Freude,
jemals drüber nachgedacht,
wer am blauen Dach der Erde
all die vielen Wolken macht?
Ich will es dir gern verraten,
denn ich habe es entdeckt,
wer in luftig ferner Höhe
hinter diesem Zauber steckt.
Drei Gesellen konnt ich sehen
fröhlich sich die Zeit vertreiben,
unbeschwert und ausgelassen
Wünsche in den Himmel schreiben.
Einer kam auf leisen Sohlen,
huschte wie ein Hauch heran,
hängte sorgsam ans Gewölbe
lauter zarte Schleier dran.
In den Topf voll weißer Sahne
tauchte bald der Zweite ein,
mit den Fingern zog er Bahnen
durch das Blau im Sonnenschein.
Berge voller Zuckerwatte
schleppte nun der Dritte her,
formte sie zu dicken Haufen
und es wurden mehr und mehr.
Dann war’n die Gesellen müde,
wünschten sich den Wind herbei,
fröhlich tanzend kam er näher,
pustete den Himmel frei.
Staunend fragst du mich, du Zweifler,
ob es wirklich möglich sei?
Ja! Ausgestreckt auf einer Wiese,
bei einer kleinen Träumerei.
©Eva Mutscher August 2018
www.eva-mutscher-geschichten.net
Ein Märchen zum Nachdenken, Schmunzeln und Träumen
Zum Inhalt:
Der Küchenjunge Michel versteht die Welt nicht mehr – im ganzen Königreich breiten sich Unruhe, Misserfolge und Krankheiten aus.
Die Boten des Königs berichten von seltsamen Zuständen im Land: während manche Menschen bis zum Umfallen arbeiten, ist woanders das Vergnügen der einzige Lebensinhalt.
Der ratlose König setzt eine Schar von Ministern ein, die selbstsüchtig und mit planlosem Eifer alles noch schlimmer machen.
Michel träumt davon, dass auch ein Küchenjunge Außergewöhnliches vollbringen kann. Die alte Magd Grete macht ihm Mut, auf sein Herz zu hören.
Sie erinnert sich an frühere Zeiten und an ein geheimnisvolles Maß, bei dessen Benutzung sich Schwierigkeiten wie von Zauberhand auflösen.
Michel macht sich auf die Suche und findet auf seine Weise den Weg, der ein ganzes Königreich retten kann.
Michel und das Geheimnis des Glücks
Ein Märchen zum Nachdenken, Schmunzeln und Träumen
Textauszug:
…
Der König schritt grübelnd auf und ab und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Was habe ich übersehen?“, sinnierte er, „Ich habe meinem Reich zu Blüte und Glanz verholfen, habe Krisen überwunden, Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt, und nun?“
„Verzeihen Sie die Störung, Majestät, im Hof ist ein Reiter angekommen.“ Der Diener wies aus dem Fenster. „Es scheint, als wäre es einer der Boten, die Eure Majestät ausgesandt haben.“
„Hoffen wir auf gute Nachricht“, sagte der König. Doch auf seiner Stirn bildete sich eine Falte. „Bringt ihn zu mir, ich will ihn gleich empfangen.“
Das Spottgelächter, das die Ankunft des Reiters begleitete, drang bis über die kleine Mauer, die den Gemüsegarten vom Hof trennte. Schnell brachte Michel den vollen Korb zum Eingang der Küche. Die Magd rief ihm nach:
„Lauf nur und schau, was es gibt. Wir haben ja sonst nicht viel zu lachen.“
Michel hörte den Reiter krakeelen, lange bevor er ihn sah. Als er seinen Hals reckte, entdeckte er ihn in einer Traube von Knechten und Mägden auf seinem Pferd, mehr hängend als sitzend. Aus den Satteltaschen schauten entkorkte Flaschen. Der Reiter zog mal rechts, mal links am Zügel, so dass das Pferd im Zickzack lief und die neugierige Menge immer wieder erschrocken zurückwich. Vor dem Eingang zum Schloss stoppte er, rutschte vom Pferd und lallte:
„Platz da, ihr Langweiler, ich muss zum König! Wir wollen einen Becher Wein auf meine Ankunft trinken!“ Er machte Schritte wie ein neugeborenes Kalb, dann gaben seine Beine nach, er knickte zusammen und schlief auf den Stufen der Eingangstreppe ein.
„Ich werd’ dir gleich!“, rief der Stallmeister und trug dem Stalljungen auf, sich um das Pferd zu kümmern. Er selbst holte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und bedachte das schnarchende Bündel mit einem kalten Guss. Der Bote schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen und kam langsam zu sich.
„Schämst du dich nicht? Halte dich gerade, wenn du vor den König trittst.“ Der Stallmeister übergab den taumelnden, tropfnassen Burschen dem nächsten Diener.
Michel sauste in die Küche, wo die Magd das Gemüse putzte und der Koch über dem Speiseplan des nächsten Tages brütete. „Erzähl!“, kam wie aus einem Mund.
Gestenreich schilderte der Küchenjunge die Ankunft des weinseligen Boten.
„Hat wohl zu viel gefeiert“, mutmaßte der Koch. Die alte Magd schüttelte den Kopf.
Als der König den halbwegs zu sich gekommenen Boten empfangen und angehört hatte, wurde seine Miene düster. Fassungslos stützte er seinen Kopf in die Hände. Es war kaum zu begreifen, was er erfahren hatte. Im Osten war das Feiern in Mode gekommen. Die Menschen feierten nicht nur die jährliche Wiederkehr ihres Geburtstages, sondern jedes Vierteljahr, das sie gelebt hatten. Sie dehnten ihre Feiern auf drei Tage aus, Vor- und Nachfeiern waren an der Tagesordnung. Und sie erfanden neue Festtage zu jedem Anlass. So wurden nicht nur der Einzug in ein neues Haus oder der Bau eines Stalls gefeiert, nein, auch der Kauf eines neues Stuhls oder eines Besens ging als besonderer Tag in den Kalender ein und wurde jährlich mit einer kleinen Feierlichkeit bedacht. Der Abschied und die Wiederkehr von Reisenden, der Beginn und das Ende jeder Woche, ja sogar die Versöhnung nach einem kleinen Wortwechsel wurde Anlass einer Feier. Vergnügungen mit Spiel, Musik und Trinkgelagen überschwemmten den östlichen Teil des Königreichs.
„Wo soll das nur hinführen?“, murmelte der König und wiegte sorgenvoll sein Haupt.
Dank der geschwätzigen Kammerzofe machten die Neuigkeiten
im ganzen Schloss die Runde. Auf diese Weise erfuhr man auch in der Küche von den überschwänglichen Festen.
„Warum ist der König so beunruhigt?“, fragte Michel. „Feiern ist doch schön!“
Löffel schwingend gab der Koch zu bedenken:
„Denk mal nach! Früher war ein Fest etwas Besonderes. Jeder hat sich lange vorher darauf gefreut. Das gibt Kraft. Jetzt brauchen die Menschen im Osten immer längere Feste und größere Feiern, um auch nur ein klein wenig Spaß zu haben.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und rückte seine Kochmütze hin und her. „Der Bote erzählte, dass sie vom Feiern mehr kaputt sind, als von der Arbeit. Sie schaffen ihre täglichen Aufgaben nicht mehr. Es geht alles drunter und drüber.“
Michel hörte mit weit aufgerissenen Augen zu. Die Magd wackelte mit dem Kopf. „Ich sag’s ja, zu viel ist ungesund. Das nimmt kein gutes Ende.“
…….
Am nächsten Morgen wurde der König von aufgeregten Rufen geweckt, die aus dem Schlosshof kamen. Er warf sich nur seinen Umhang über und eilte aus dem Schlafgemach um nachzusehen. Der Stalljunge rieb gerade ein Pferd mit Stroh trocken, das aus allen Poren dampfte. Der Stallmeister rannte dem König entgegen.
„Er kam wie der Blitz an gejagt, er muss die ganze Nacht geritten sein“, verkündete er. „Pferd und Reiter sind so erschöpft, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können.“
Der dritte Bote war also angekommen. Der König entdeckte ihn am Brunnen, sah, wie er sich Gesicht und Hände wusch, den Staub von der Kleidung klopfte und ein Bündel Schriftrollen aufnahm. Dann blickte sich der Bote um, erkannte den König und hastete zu ihm, um Meldung zu erstatten.
„Majestät, ich habe euren Auftrag, im Westen nach dem Rechten zu sehen, ordnungsgemäß ausgeführt.“ Der Bote taumelte, rieb sich die Augen, riss sich zusammen und berichtete: „Ich habe alle Bewohner befragt, ihre Gewohnheiten studiert und ihren Tagesablauf viertelstündlich zu Protokoll gebracht.“ Er zwinkerte immer heftiger. „Wenn Ihr mir gestattet, diese Schriftrollen in den nächsten Stunden auszuwerten, kann ich Euch bis heute Abend eine übersichtliche Zusammenfassung vorlegen.“
Der gewissenhafte Bote hatte das letzte Wort kaum zu Ende gesprochen, da sackte er zusammen, ging in die Knie und kippte um.
„Ist er tot?“, fragte Michel, der unterwegs war, um die königliche Frühstücksmilch aus dem Stall zu holen.
„Noch nicht, aber wenn er so weiter macht, ist er es bald“, murmelte der König.
„Er ist vor Erschöpfung eingeschlafen“, flüsterte die alte Magd, die in der Nähe stand und alles beobachtet hatte. „Ich sag’s ja, zu viel ist ungesund, und wenn es die Arbeit ist.“
„Was soll ich nur tun?“, rief der König unglücklich. „Wer kann mir raten? Noch nie habe ich beim Regieren meines Landes Hilfe gebraucht, aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter.“
Er wandte sich an seine Dienerschaft, die sich neugierig um ihn versammelt hatte. „Ihr habt es gehört: im Osten wird nur noch gefeiert, im Norden wird gegessen, bis sich keiner mehr rühren kann und im Westen scheinen die Leute bis zum Umfallen zu arbeiten.“
Er ließ den Kopf hängen und ließ sich am Brunnenrand nieder.
„Koch, Stallmeister, Gärtner! Ihr seid zufriedene Leute und führt
ein gutes Leben. Was meint ihr? Was soll ich tun, damit wieder Ruhe im Land einkehrt?“
„Ich kann gut kochen, mein König, doch regieren kann ich nicht“, antwortete der Koch und drehte nervös an seinem Kochlöffel im Gürtel.
„Auch ich verstehe mein Handwerk“, sagte der Stallmeister. „Ihr habt prächtige Pferde. Ich kann sie pflegen und versorgen, doch wie man das bei Menschen macht, weiß ich nicht.“
Der Gärtner, der sich hinter eine Hecke verziehen wollte, blieb stehen, als der Blick des Königs ihn traf.
„Ich weiß wohl Kräuter und Unkräuter bei den Pflanzen zu unterscheiden, aber nicht bei den Menschen. Deshalb bin ich Gärtner geworden und nicht König.“
Michel verfolgte fassungslos das Geschehen. Er konnte es kaum ertragen, seinen König so ratlos zu sehen. Wie gern hätte er ihm geholfen, aber wie? Und außerdem, wer fragte schon einen Küchenjungen?
Er spürte den Blick der alten Magd und hatte das Gefühl, als könne sie in seinen Augen alle seine Zweifel lesen.
„Sie kommt schon, deine Zeit.“
„Das kann ich kaum glauben, ich bin nur ein Küchenjunge. Wie soll aus mir etwas werden?“
„Nie wieder solche Worte!“, schimpfte die Alte und sah ihn eindringlich an: „Kleine Schritte! Merk dir, immer kleine Schritte.“
„Du redest wunderlich“, entgegnete Michel und legte die Hand auf ihren Arm. „Aber ich weiß, dass du es gut mit mir meinst. Lass mich den Korb tragen, denk an deinen Rücken.“
Die beiden gingen in Richtung Küche, da rief ihnen der König hinterher: „Grete, du lebst schon doppelt so lange im Schloss wie ich. Gab es, als du jung warst, nicht auch schwierige Zeiten? Kannst du dich erinnern, wie der alte König damit fertig geworden ist?“
Die Magd blieb stehen, drehte sich um und kratzte sich an der Stirn, als müsse sie alte Bilder hervorkramen.
……
© Eva Mutscher